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Hanns Günther Hilpert / Christian Wagner (Hrsg.): Sicherheit in Asien. Konflikt, Konkurrenz, Kooperation

06.03.2017
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Autorenprofil
Natalie Wohlleben, Dipl.-Politologin
Baden-Baden, Nomos 2016

Nicht erst seit dem Amtsantritt des neuen US-Präsidenten Donald Trump – der zunächst verbal die Konfrontation mit China suchte und dem Transpazifischen Handelsabkommen (TPP) eine Absage erteilte – stellt sich die Frage der Sicherheit im ostasiatischen Raum neu. Die USA sehen sich als wichtig(st)er pazifischer Akteur seit mindestens zehn Jahren neuen Herausforderungen gegenüber: mit dem wirtschaftlichen Aufstieg verändert sich auch Chinas Außenpolitik. In ihrer Einleitung fragen daher die Herausgeber dieses Bandes Hanns Günther Hilpert und Christian Wagner, wie tragfähig die Pax Americana noch ist, die im Kalten Krieg etabliert wurde und bisher ohne die Einbindung Chinas und Russlands ausgekommen ist. In den Beiträgen, bei denen es sich bis auf den Originalbeitrag von Felix Heiduk um überarbeitete SWP-Studien handelt, zeigt sich, dass unter diesem Dach der Pax Americana ein „Mosaik“ (10) von sicherheitspolitischen Beziehungen entstanden ist, das aktuell vor allem durch zwei nicht voneinander zu trennende Komponenten geprägt ist: die oft enge wirtschaftliche Kooperation mit China, die das unverkennbar von den Staaten der Region geteilte Ziel des friedlichen Miteinanders stützt, sowie die Konkurrenz der einerseits von den USA und andererseits von China verfolgten geopolitischen Ziele. Zu diesem Szenario gehören zudem „drei der gefährlichsten Konfliktherde der Welt: Korea, Taiwan und Kaschmir“ (8) sowie eine konventionelle wie nukleare Aufrüstung in der Region. Im Einzelnen vorgestellt werden die regionalen Sicherheitspolitiken Chinas, der USA, Russlands, Japans, Indonesiens und Indiens. Bemerkenswert ist die Feststellung der Herausgeber, dass in nahezu allen diesen Staaten heute die Meinung vorherrscht, sicherheitspolitische Herausforderungen würden „eher in innenpolitischen Konflikten liegen, weniger in äußeren Bedrohungen“ (14).

Der Aufstieg Chinas zu einem wichtigen wirtschaftlichen wie sicherheitspolitischen Akteur zieht sich als zentraler Faktor durch alle Analysen (Ausnahme: in dem Beitrag über die südasiatische Sicherheitspolitik Indiens bleibt China explizit ausgeklammert). Insofern erfüllt die erste Studie im Band von Gudrun Wacker über die Rolle Chinas bei der Sicherheitskooperation in Ostasien die Aufgabe, über die Grundlagen aufzuklären. Mit dem Fokus auf die Volksrepublik benennt die Autorin „Asiens Paradoxon“ (15): die Entkopplung von Wirtschaft und Sicherheit, die zu einem ambivalenten Zustand führt, der von Verflechtung und zugleich Misstrauen geprägt ist. Seit Mitte der 1990er-Jahre stand Chinas Außen- und Sicherheitspolitik unter dem Primat der Modernisierung im Inneren, rekapituliert Wacker. Seit 2008 und deutlicher noch seit der Machtübernahme durch Xi Jinping (seit 2012 Generalsekretär der Kommunistischen Partei und seit 2013 zusätzlich Staatspräsident) ändert sich aber die Blickrichtung. China modernisiert seine Armee, tritt offensiv bis aggressiv in den Konflikten über die Zugehörigkeit verschiedener Inseln und Felsen im Süd- und Ostasiatischen Meer auf und hat die Wiedervereinigung mit Taiwan zum nationalen Kerninteresse erklärt. Die Außenpolitik ist dabei insgesamt geprägt durch das Bestreben, sich nicht multilateral und womöglich noch nach einem Konsensprinzip einbinden zu lassen, sondern bilaterale Kooperationen aufzubauen. Ein Zeichen dafür ist eine aktive Besuchsdiplomatie. Wacker stellt außerdem Bündnisferne fest, einzige Ausnahme ist eine vor Jahrzehnten abgeschlossene Sicherheitspartnerschaft mit Nordkorea. China sieht sich, so die eigene Perspektive, mit einer Eindämmungspolitik seitens der USA konfrontiert, während diese die chinesischen Absichten als Versuch wahrnehmen, ein „‚neues Modell der Großmachtbeziehungen‘“ (21) etablieren zu wollen.

Die jüngste Historie der US-amerikanischen Sicherheitspolitik gegenüber China erläutert Michael Paul im anschließenden Beitrag. Es ist immer wieder zu Innovationen gekommen, so zeigt der Rückblick, die sich dann an der Realpolitik abnutzten. Dies gilt etwa für die Doppelstrategie der Clinton-Administration von Integration und Absicherung, zeigte sich aber auch bei den Schwierigkeiten von Präsident Barack Obama, mit einer auf Konsens angelegten Politik von der Volksrepublik ernst genommen zu werden (wobei seine Bilanz in der Klimapolitik, die ihm auf der Konferenz in Kopenhagen einen schlechten Start beschert hatte, inzwischen gut ist: China hat sich von der Notwendigkeit des Klimaschutzes überzeugen lassen). Am Beispiel der Politik der USA wird die immer wiederkehrende, grundsätzliche Frage aufgeworfen, ob China einzubinden oder auszugrenzen ist. Während die Obama-Administration versuchte, TPP als „‚wirtschaftliche[n] Klebstoff‘“ (66) in der Region zu etablieren und damit China die Perspektive der Einbindung zu eröffnen, deutete zugleich die Planung, die pazifische US-Flotte zu verstärken, auf Ausgrenzung. In diesem Beitrag scheint das große militärische Potenzial in der Region auf, das vonseiten der USA auch eingesetzt wird, um über ordnungspolitische Leistungen (wie Sicherung der Seehandelsrouten) ihre internationale Führungsrolle hervorzuheben.

Von Russland ist die Volksrepublik dagegen erst wiederentdeckt worden, wie in der Studie von Margarete Klein deutlich wird: angesichts der Auseinandersetzungen im Westen (Konflikt mit der Ukraine, Sanktionen) als Partner im Osten – als Käufer von Rüstungsgütern und überhaupt für die wirtschaftliche Kooperation, zumal die Befürchtung besteht, dass sich die sibirische Peripherie weiter vom Moskauer Zentrum ab- und sich selbstständig China zuwendet. Sicherheitspolitisch wird die Volksrepublik nicht als Bedrohung gesehen, konstatiert die Autorin, traditionelle Grenzkonflikte etwa sind entschärft. Dennoch modernisiert Russland im Osten sein strategisches Nukleararsenal. Andere Beziehungen in Ostasien sind, mit Ausnahme zu Vietnam, schwach ausgeprägt, das Verhältnis zu Japan ist nach wie vor durch das Fehlen eines Friedensvertrages belastet, der Einfluss auf Nordkorea gering. Zu vermerken sind allerdings die Bemühungen Russlands, die multilaterale Sicherheitszusammenarbeit in Ostasien zu stärken.

Während also für die USA und Russland die wirtschaftliche Kooperation ein Grundstein der Beziehungen mit China, das sicherheitspolitische Verhältnis aber noch lange nicht austariert ist, definiert Japan seine Perspektive eindeutig, wie Alexandra Sakaki schreibt: China wird als Bedrohung wahrgenommen, zumal es im Streit um die Senkaku-/Diaoyu(tai)-Inseln aggressiv auftritt. Die japanische Außen- und Sicherheitspolitik, die sich seit den 1980er-Jahren weiterentwickelt hat, wird denn auch seit 2014 explizit neu interpretiert – das Land darf nun nach eigener Auffassung im Rahmen der kollektiven Selbstverteidigung militärisch aktiv werden. Seine Politik zielt auf eine Eindämmung und Exklusion Chinas, die Rivalität beider Länder behindert, wie die Autorin feststellt, den Ausbau einer tragfähigen regionalen Sicherheitsarchitektur.

Am Beispiel der sicherheitspolitischen Bemühungen Indonesiens und Indiens in den beiden weiteren Beiträgen des Bandes zeigt sich, dass die beiden Demokratien eigentlich gerne mehr Gewicht auf multilaterale Prozesse legen würden, mit ihren Initiativen oft aber nicht das gewünschte Ziel erreichen – sei es Indien mit der South Asian Association for Regional Cooperation (SAARC), die Christian Wagner als Beispiel für eine eher erfolglose regionale Kooperation einordnet, oder Indonesien mit seinem Bemühen, die Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) weiter auszubauen. Indonesien, das sich angesichts der herrschenden Bedingungen auch um die Verstärkung bilateraler Zusammenarbeit bemüht, hat das „Konzept des ‚offenen Regionalismus‘“ als angepasste Antwort auf die ostasiatischen Spezifika entwickelt: „Interessendivergenzen der Großmächte in der Region sollen über eine Einbindung in multilaterale Dialogforen [...] gemanagt werden“ (Felix Heiduk, 182).

In den Analysen wird die jeweilige Sicherheitspolitik eines Landes herausgearbeitet, die Bedeutung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit tritt klar hervor, ebenso das vorherrschende Ziel, den Frieden zu wahren. Nur punktuell wird allerdings von den Autoren explizit betont, warum sich ein Verhältnis besonders schwierig gestaltet oder eine multilaterale Zusammenarbeit, die auf Konsens angelegt ist, abgelehnt wird. In dem Beitrag über Japan ist herauszulesen, dass sich das Land mit seiner Weigerung, seine Kriegsvergangenheit aufzuarbeiten und sich zur Rolle des Täters zu bekennen, außenpolitisch selbst im Wege steht – die Beziehungen zu Südkorea sind, obwohl man mittlerweile eigentlich an den gleichen Grundprinzipien wie der Demokratie orientiert ist, schlecht und auch das Verhältnis zu China wird aus diesem Grund immer wieder unter Spannung gesetzt (vgl. Beitrag von Sakaki). Die Volksrepublik wiederum versucht sich aus einem offensichtlichen Grund aus multilateralen Prozessen fernzuhalten: Die Diktatur hat immer erst Selbstlegimitation und Machterhalt im Blick. Der insgesamt informative Band hätte noch weiter gewonnen, wenn wenigstens in einem abschließenden Beitrag die innenpolitischen Determinanten der Sicherheitspolitik in Asien problematisiert worden wären.

 

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