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Benjamin Moffitt: The Global Rise of Populism. Performance, Political Style, and Representation

18.05.2017
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Autorenprofil
Frank Kaltofen, M.A.
Stanford CA, Stanford University Press 2016

Die vollgepackten Wahl-Kalender dieses und des vergangenen Jahres haben das Thema Populismus wieder ganz vorn auf die Agenda von Medien und Wissenschaft gesetzt: In zahlreichen europäischen Gemeinwesen hatten und haben sich populistische Akteure in Position gebracht. Benjamin Moffitt, Politikwissenschaftler an der Uppsala University, zeigt mit seinem Buch, dass es sich hierbei weder um ein nur in Europa virulentes Phänomen handelt noch dass sich dieser „Global Rise of Populism“ als Entwicklung der zurückliegenden fünf oder zehn Jahre begreifen lässt. Moffitt erklärt einleitend, dass bereits seit Mitte des letzten Jahrzehnts von einem Revival des Populismus geschrieben wurde und betont: „What was once seen as a fringe phenomenon relegated to another era or only certain parts of the world is now a mainstay in contemporary politics across the globe.“ (2)

Was aber verbindet die verschiedenen Manifestationen dieses ebenso umfangreichen wie allgegenwärtigen Phänomens? Moffitt regt ein anderes Konzept beziehungsweise Verständnis davon an, was Populismus ist. Damit soll den Veränderungen im Vergleich zu früheren Erscheinungen Rechnung getragen werden, vor allem durch die veränderte Realität der (politischen) Kommunikation: neue Medien; schnellere, kostengünstigere und breitere Verfügbarkeit von Medienkanälen durch soziale Netzwerke – diese würden zwar keineswegs nur durch populistische Akteure genutzt, hätten deren Wirken aber besonders beeinflusst.

Es kann kaum überraschen, dass Moffitt angesichts dieser Expansion von Vernetzung dafür plädiert, über die in der Fachliteratur bisher dominierenden regionalen Betrachtungsweisen oder Einzelfallstudien (etwa über Lateinamerika) hinauszugehen und Populismus eben – bei allen Spezifika politischer Systeme – als globales Phänomen zu begreifen. Den neuen Analyseansatz, den er hierfür vorschlägt, umschreibt er als die Betrachtung von Populismus als politischen Stil. Dabei meint politischer Stil mehr als nur kommunikative beziehungsweise rhetorische Elemente; Moffitt entwirft vielmehr ein theoretisches Gerüst: „[T]he leader is seen as the performer, ‚the people‘ as the audience, and crisis and media as the stage on which populism plays out upon“ (5, Hervorhebung im Original). Die Darlegung dieses Konzepts erfolgt im Anschluss an eine kritische Auseinandersetzung mit der bisherigen wissenschaftlichen Debatte zum Thema Populismus, insbesondere ab 1990. Das Konzept des „political style“ legt er dar als „repertoires of embodied, symbolically mediated performance made to audiences that are used to create and navigate the fields of power that comprise the political“ (50), um in den folgenden Kapiteln anhand dessen das Phänomen Populismus zu analysieren. Dabei geht es ihm nicht um eine detaillierte Betrachtung einzelner Beispiele; eher möchte er Muster aufdecken.

Als empirisches Sample dafür dienen 28 Einzelbeispiele aus verschiedenen Weltregionen und politischen Systemen, von Europa über Latein- und Nordamerika bis nach Afrika und die asiatisch-pazifische Region. Betrachtet werden Politiker*innen, die von mindestens sechs Autor*innen der wissenschaftlichen Literatur als populistisch eingestuft werden – eine wirksame Auswahl, denn bei aller Vielfalt der Konzepte von Populismus, so Moffitt, „there is at least some (mild) consensus regarding the actual case of actors“ (42). Er entscheidet sich also bewusst dafür, den Populismus nicht anhand von Parteien oder Bewegungen, sondern von Einzelpersonen, sprich Führungsfiguren („populist leaders“) zu betrachten. Diese sieht er als wesentliche „performer“ des politischen Stils Populismus, die sich, so Moffitt, typischerweise von Mainstream-Politikern distanzierten und als Anwalt der „einfachen“ Leute inszenieren, aber gleichzeitig als Führungsfigur gesehen werden wollen – er spricht von einer Balance „between presenting oneself as both ordinary and extraordinary“ (69).

Die zentrale „Bühne“ („stage“) dieser Darsteller des Populismus ist für Moffitt die moderne Medienlandschaft: Er sieht eine klare Verbindung zwischen der Renaissance des Populismus und der Mediatisierung (und Inszenierung) von Politik und betont dabei immer wieder, welche Bedeutung der Übergang von traditionellen zu neuen Medien für den Populismus hat. Er attestiert hier eine Art symbiotischer Beziehung, treten doch Politiker*innen mittlerweile auch als TV-Prominenz auf, etwa in Reality-Fernsehformaten.

Diese Bühne hilft den Darstellern – Moffitt bleibt in dieser Metapher –, ihr Publikum zu erreichen, also die Bevölkerung (er schreibt bewusst in Anführungszeichen von „the people“) durch mediale Kanäle anzusprechen. Er differenziert aber durchaus zwischen Zuhörerschaft beziehungsweise Adressatenkreis der Populisten einerseits und ihrer Wählerschaft andererseits, die nicht deckungsgleich sein müssen, allerdings beide wichtig für die Performance des Populismus sind. Interessant hinsichtlich dieser Bühnen-Metaphorik ist, dass Moffitt auch die Krise zu einer „Bühne“ erklärt: Er sieht Krisensituationen nicht bloß als Auslöser oder Anknüpfungspunkt für Populismus, sondern die Krise sei auch umgekehrt ein entscheidendes Wesensmerkmal des Populismus: [C]rises are never ‚neutral events‘, but are actively performed by populist actors who attempt to ‚spectacularise‘ failure so as to propagate the sense of crisis.“ (131) Oft gehe dies mit der Simplifizierung komplexer Vorgänge und dem Anbieten vermeintlich „einfacher“ Lösungen einher.

Moffitts Buch folgt insgesamt einem sehr klaren, stringent durchgehaltenen Ansatz. Der Autor betont dabei selbst immer wieder die Sinnhaftigkeit seines Vorgehens und die Neuartigkeit des Ansatzes, wodurch sich manche Wiederholung ergibt. Einher geht sein Analyseansatz mit dem bereits erwähnten Fokus auf Persönlichkeiten statt auf Parteien, Strömungen oder Strukturen, was als konzeptionelle Schwäche gesehen werden kann. Nicht immer gelingt außerdem die Verzahnung der theoretischen Aspekte mit den empirischen Beispielen – an mancher Stelle scheint dem Autor selbst nicht klar zu sein, ob er ein Buch über Theorie oder Empirie vorlegen möchte. Insgesamt bleibt, bei aller Plausibilität seines Ansatzes, die Neuartigkeit der daraus erwachsenden Erkenntnisse – jedenfalls in dieser Monografie – überschaubar. Für im Forschungsfeld tätige Studierende und Wissenschaftler, insbesondere zur politischen Kommunikation, ist „The Global Rise of Populism“ aber dennoch eine Lektüre, die es zu beachten gilt. Für alle anderen ist es immerhin ein lesenswertes, weil Übersicht schaffendes Handbuch mit reichlich weiterführenden Lektüre-Ideen, auch unabhängig von seiner spezifischen Herangehensweise an das Phänomen Populismus.

 

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