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Andreas Kuhlmann

Politik des Lebens - Politik des Sterbens. Biomedizin in der liberalen Demokratie

Berlin: Alexander Fest Verlag 2001; 234 S.; geb., 18,41 €; ISBN 3-8286-0120-0
Ob das Buch Scheußlichkeiten oder eine schöne neue Welt beschreibt, hängt von der Position des Lesers ab. Die neuen Möglichkeiten der Medizin am Beginn und am Ende des menschlichen Lebens kann man hinsichtlich befürchteter Folgen aus prinzipiellen Gründen ablehnen, aber auch eher freizügig, im Sinne vermuteter Fortschritte zu Gunsten des Menschen, bewerten. Der Autor neigt Letzterem zu, legt aber mit seinem Buch kein Plädoyer für eine bestimmte Position oder Praxis vor, sondern er sucht die verschiedenen Orte auf, an denen aufgrund medizinischen Fortschritts und des allgemeinen Wertewandels Entscheidungen der Politik gefragt sind oder sein werden. In den Mittelpunkt stellt er die am Ende ungenügend beantwortete Frage, "wie ein wertplurales und liberales Gemeinwesen zu einigermaßen tragfähigen Regelungen hinsichtlich neuer therapeutischer Angebote gelangen kann, die den Rechtsansprüchen und Wertvorstellungen der einzelnen Rechnung tragen" (8). Dabei sehe sich die Politik, "die biomedizinische Innovationen zu regulieren sucht, [...] mit umstrittenen Situationsdeutungen wie mit konkurrierenden moralischen Prinzipien" (30) konfrontiert. Bei der rechtlichen Regelung solle man sich von Klugheit leiten, "institutionelle Vorkehrungen treffen und entsprechende politische Initiative und Phantasie walten lassen" (221). Das Buch bietet einen umfassenden Überblick über die Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin, der Organtransplantation und den Umgang der Medizin mit Sterben und Tod. Bereits in der Einleitung beschreibt Kuhlmann Zukunftsszenarien als Beinahe-Tatbestände, etwa dass "Schwulen, Lesben und Singles [...] zu einem Kind verholfen werden" könne (10). Häufig stehen der Wahlfreiheit des Individuums aber beträchtliche Folgeprobleme gegenüber, von denen die Grundfragen des menschlichen Selbstverständnisses berührt werden und die menschlichen Lebensweisen radikal verändert werden könnten (14). Ein Beispiel ist die aktive Sterbehilfe, deren Wurzeln "in einer säkularisierten und individualisierten Moral" (184) zu finden seien. Das "holländische Experiment" - ein konsequentes Ergebnis dieser Moral - wertet der Autor als Anschauungsfeld für die weitere Debatte über die Euthanasie, der man sich in liberalen Gesellschaften stellen müsse (186). Das Attribut "liberal" ist zwar kein im Grundgesetz fixiertes Kriterium für die Entscheidungsfindung, für Kuhlmann aber offensichtlich eine vorausgesetzte Prämisse. So erklärt sich, dass er zwar meint, dass es "gute Gründe" gebe, aktives Töten nicht zu institutionalisieren und damit zu normalisieren, sie aber darauf reduziert, dass das Tötungsverbot "tief verwurzelt" (185) sei. Die neuen Möglichkeiten der Forschung, etwa an Embryonen, sind für ihn "Optionen", die man nicht unterbinden sollte. Dennoch liefert Kuhlmann mit seinem Buch auch alle Argumente und Tatbestände, die dagegen sprechen.
Henry Krause (HK)
Dipl.-Politologe, Referatsleiter, Sächsische Landeszentrale für politische Bildung, Dresden.
Rubrizierung: 2.23 | 2.343 Empfohlene Zitierweise: Henry Krause, Rezension zu: Andreas Kuhlmann: Politik des Lebens - Politik des Sterbens. Berlin: 2001, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/13970-politik-des-lebens---politik-des-sterbens_16744, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 16744 Rezension drucken