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Levent Tezcan

Das muslimische Subjekt. Verfangen im Dialog der Deutschen Islam Konferenz

Konstanz: Konstanz University Press 2012; 177 S.; 5. Aufl.; 24,90 €; ISBN 978-3-86253-022-9
Die Deutsche Islamkonferenz ist der 2006 begonnene Versuch eines nachhaltigen Dialoges über die Bedingungen und Möglichkeiten der Integration in Deutschland lebender Muslime. Ohne Übertreibung lässt sich sagen, dass der Versuch unter keinem guten Stern stand – in Tezcans Buch findet sich der erste Hinweis darauf bereits auf Seite 13. Er lautet: 11. September. Denn das, was als Integrationspolitik ein breites Feld von wechselseitiger Anerkennung zwischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft nur annähernd grob zu umreißen vermag, war infolge der Terroranschläge von New York und Washington zu einer Frage der unbedingten Anpassung „des“ (!) Islams an die westliche Gesellschaft – in diesem Fall deren deutsche Variante – verkürzt worden. Und so ist der kritische Unterton in Tezcans Analyse der ersten Phase (2006-2009) der bundesdeutschen Islampolitik durchaus verständlich. Dieser kritische Unterton findet seinen Niederschlag in den Begriffen Subjekt und Dispositiv, die beide aus dem biopolitischen Arsenal Michel Foucaults stammen – und die beide die Idee des interkulturellen Dialoges oder gar eines Diskurses über Integration a priori unterminieren. Indem die Anhänger des muslimischen Glaubens gleichsam als Subjekte apostrophiert werden, diagnostiziert Tezcan ein hierarchisches Gefälle zwischen Muslimen und Nichtmuslimen, und zwar zuungunsten der erstgenannten Gruppe. Darüber hinaus werden diese einem Dispositiv unterworfen, also einem Ensemble von sagbaren Inhalten und Vorstellungen, wobei die Entscheidung über das, was sagbar ist und was nicht, nicht den Muslimen zustehe. Zusammengenommen ergibt sich damit der Befund eines eigentlich deliberativ angelegten Prozesses, institutionalisiert in Form der Islamkonferenz, die – so die Kritik – schon wegen ihrer eigenen Sicht auf die Dinge scheitern muss. Der Islam als Feindbild lasse sich nicht integrieren. Ein Ausdruck dieses Feindbildes sei jenes „Kriegsmodell“ (166) einer von Eroberungssucht nach Europa getriebenen muslimischen Horde – Thilo Sarrazins unsägliches Buch „Deutschland schafft sich ab“ darf hier zu Recht als Beispiel für derlei Kommunikationsmuster stehen. Angesichts der beständig um sich greifenden Rhetorik – mal mehr, mal weniger avanciert – des Rechtspopulismus in Europa, muss das Thema Integration oben auf der Agenda bleiben, auch wenn es dort, wie Tezcan leider zu Recht betont, momentan nicht mehr allzu weit oben erscheint.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.343 | 2.35 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Levent Tezcan: Das muslimische Subjekt. Konstanz: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/21672-das-muslimische-subjekt_42111, veröffentlicht am 28.06.2012. Buch-Nr.: 42111 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken