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Günter Joetze

Der Irak als deutsches Problem

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2010 (Studien der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Sonderband); 310 S.; 29,- €; ISBN 978-3-8329-5365-2
Warum ist der Irak ein deutsches Problem? „Die Haltung Amerikas im Irak-Konflikt widersprach [...] dem deutschen Grundbedürfnis nach rationalen Partnerschaften, vor allem in der Sicherheitspolitik“ (15), schreibt Joetze, Botschafter a. D. und ehemaliger Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Als Reaktion auf diese Haltung habe die Bundesrepublik ihre außenpolitische Verortung artikulieren müssen – was im Ergebnis zumindest im Ansatz gelungen sei. Von der Schmähung Deutschlands und Frankreichs durch den damaligen US-Verteidigungsminister Rumsfeld als Repräsentanten eines alten Europas bleibt in dieser akribisch durchgeführten und politisch engagiert geschriebenen Analyse nichts übrig. Eher stehen die USA als ein willkürlich agierendes Land da, das unter Präsident George W. Bush danach trachtete, die Welt nach eigenen Maßstäben zu formen. Joetze zeichnet nach, wie die US-Regierung nach einer argumentativen Engführung eine Verbindung zwischen dem Irak und dem fundamentalistischen Terrorismus postulierte und einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führte – getrieben von dem Gedanken, dass ein demokratischer Irak sich positiv auf die Befriedung und Demokratisierung des Nahen und Mittleren Ostens auswirken werde. Der Zugriff auf die Ölvorkommen habe dagegen keine erkennbar wichtige Rolle gespielt. Joetze schreibt weiter, dass sich die US-Regierung weigerte, die Zeit nach dem Sieg zu planen und auf die Annahme vertraute, die irakischen Behörden würden die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gewährleisten. Bemerkenswert ist zudem der Befund, dass die USA allenfalls von Großbritannien aktiv militärisch unterstützt werden wollten, deutsche Truppen aber gar nicht erwünscht waren – ebenso wenig wie eine Mitwirkung des UN-Sicherheitsrates. Vor dieser Kulisse eines fast übermächtigen, nicht verhandlungsbereiten Hegemons stellt Joetze dem Beharren von Kanzler Schröder und Außenminister Fischer auf eine völkerrechtskonforme Konfliktlösung mit dem Ziel, den Frieden zu wahren, ein relativ gutes Zeugnis aus. Da der NATO-Bündnispartner USA durch den Irak nicht bedroht gewesen sei, hätte allerdings selbst die Unterstützung etwa durch AWACS-Besatzungen bei Flügen im türkischen Grenzgebiet unterbleiben sollen. Auf jeden Fall aber seien aus dem Irak-Konflikt Lehren zu ziehen. Dazu zählt Joetze: „Keine Vorschusssolidarität bei einer neuen Krise“ (246), keine halbe Verweigerung und eine eigene Definition deutscher und europäischer Ziele.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 4.41 | 4.21 | 4.22 | 2.63 | 2.64 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Günter Joetze: Der Irak als deutsches Problem Baden-Baden: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/32612-der-irak-als-deutsches-problem_38922, veröffentlicht am 13.10.2010. Buch-Nr.: 38922 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken