Skip to main content
Devin O. Pendas

Der Auschwitz-Prozess. Völkermord vor Gericht. Aus dem amerikanischen Englisch von Klaus Binder

Berlin: Siedler Verlag 2013; 432 S.; geb., 24,99 €; ISBN 978-3-8275-0007-6
Dieser Blick von außen auf den wichtigsten Strafprozess zur Aufarbeitung des Holocaust in Deutschland erweist sich als Gewinn für das tiefere Verständnis dafür, was die „Strafsache gegen Mulka u. a.“ nicht war, aufgrund einer „strukturellen Blindheit“ (107) nicht sein konnte: ein Auschwitz‑Prozess, bei dem das Verbrechen der Judenvernichtung in seiner Gesamtheit vor Gericht stand. Die Gründe für das aus dieser Perspektive unzulängliche Strafverfahren verortet Devon O. Pendas, Professor für Geschichte am Boston College, im deutschen Rechtssystem und seiner Strafprozessordnung, die er als eben das vorstellt, was sie ist – als keineswegs selbstverständlich, sondern historisch gewachsen und deshalb überhaupt nicht darauf ausgelegt, angesichts von Völkermord wieder so etwas wie Gerechtigkeit herzustellen. Das starre Korsett, das die Prozessordnung vorschrieb, erwies sich vor allem als völlig ungeeignet, die in Auschwitz erlebte Wahrheit festzustellen, was für die überlebenden Zeugen eine schmerzliche Erfahrung gewesen sein muss. Pendas erörtert detailliert die deutschen Differenzierungen zwischen Mördern und ihren Gehilfen sowie das Gewicht, das den Motiven eines Täters zugeschrieben wird – mit der Folge, dass die Tötung eines Menschen nicht als Mord anerkannt werden konnte. Hier allerdings fehlt der Hinweis, dass die Einführung der Kategorie der niederen Beweggründe als Mordmotiv auf eine Reform von 1941 zurückgeht und es damit in der NS‑Zeit geschaffenes Recht erschwerte, im Namen des Regimes begangene Verbrechen zu bestrafen. Die Angeklagten beriefen sich entsprechend auf Unwissenheit und Nicht‑Verantwortung. Als weiteres Hindernis bei der Findung der Wahrheit und ihrer unumwundenen Anerkennung erwies sich der Kalte Krieg, der es der Verteidigung erlaubte, zumindest die Diskreditierung von Zeugen etwa aus Polen als kommunistisch gesteuert zu versuchen. Die personelle Kontinuität in der westdeutschen Justiz nach 1945, die bis in die 1960er‑Jahre hinein die rechtliche Aufarbeitung der NS‑Verbrechen eher behinderte, sollte sich in diesem Prozess dagegen nicht negativ auswirken. Trotz dieser insgesamt schwierigen Bedingungen bescheinigt Pendas in seiner akribischen Analyse des Prozesses und seiner Vorgeschichte der Anklagevertretung und dem Gericht lobenswerte pädagogische Absichten und im Rahmen der Möglichkeiten den Holocaust in Auschwitz benannt und verurteilt zu haben. Die durch die Strafprozessordnung bedingte Konzentration auf die Motive der einzelnen Täter aber habe nicht den „wahren Charakter des Holocaust“ wiedergeben können, „schließlich war dieser ein durch und durch gesellschaftlich bestimmtes Ereignis“ (317).
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.3132.352.312 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Devin O. Pendas: Der Auschwitz-Prozess. Berlin: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36611-der-auschwitz-prozess_44636, veröffentlicht am 16.01.2014. Buch-Nr.: 44636 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken