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Thilo Fehmel

Sicherungsbewahrung. Europas sozialpolitische Zukunft

Weinheim/Basel: Beltz Juventa 2013 (Interventionen); 179 S.; 19,95 €; ISBN 978-3-7799-2871-3
Thilo Fehmel rekonstruiert die Entwicklung von sozialen Sicherungspolitiken in Europa anhand funktionalistischer, institutionalistischer und konflikttheoretischer Ansätze. Dabei zeigt er auf, dass diese Ansätze erst in ihrer Kombination zufriedenstellende Erklärungen liefern können. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht die andauernde Verschiebung von Grenzen und Zugehörigkeiten als politische Konstruktionen, die sowohl politischen und ökonomischen als auch territorialen Interessen untergeordnet sind. Der Autor diskutiert, ob sich vor dem Hintergrund von Europäisierung und Globalisierung eine Konvergenz der Wohlfahrtsstaatentypen abzeichnet. Zwar erweise sich die Unterscheidung von Bismarck‑ und Beveridge‑System in einigen Bereichen – insbesondere dem Gesundheitssystem – als außerordentlich stabil. Dies gelte jedoch nicht unbedingt für andere Subtypen sozialer Sicherung wie etwa der Arbeitsmarktpolitik oder der Altersversorgung. Somit könne man zwar nicht von einer Konvergenz sprechen, die Typen verlören jedoch ihre Eindeutigkeit, es komme zu Annäherungen und teilweise auch Überlagerungen. Vor dem Hintergrund der diskutierten Schwierigkeiten, die sich im Rahmen der europäischen Integration durch das Auseinanderklaffen von (territorialen) Zugehörigkeiten und sozioökonomischer Mobilität ergeben, entwirft Fehmel am Ende ein Modell für eine europäische Sozialversicherung. Dieses mutet mit Bezug auf die vorherigen Kapitel allerdings etwas seltsam an, zeigt der Autor doch zum Beispiel mit Blick auf den Flexicurity‑Ansatz der Europäischen Kommission, welche Hürden sich bei dessen Durchsetzung angesichts der zahlreichen konfligierenden Interessen auf nationaler Ebene aufbauen. So habe die Kommission die beteiligten Akteure zwar benannt, deren mögliche Reaktionen jedoch nicht antizipiert. Welche Umsetzungschancen hätte dann aber eine nationenübergreifende europäische Sozialversicherung, die auf dem Beitragsprinzip beruht und als Beitragszahlende „alle Personen“ umfasst, „die Primäreinkommen erzielen und/oder über Vermögen verfügen“, und sämtlichen Beitragszahler_innen „versicherungsrechtliche Anwartschaften“ (161) garantiert? Zeigt Fehmel nicht zuvor, dass gerade in den sensiblen Bereichen Arbeit und Rente das Beitragsprinzip auf dem Rückmarsch ist? Analog zu seiner Kritik an der Kommission antizipiert er zudem ebenso wenig, dass auch die Kommissionspolitik gleichermaßen von Interessen durchzogen ist und nicht lediglich als Institution für eine neutrale Problembearbeitung betrachtet werden kann. Das Buch bietet somit insgesamt eine gute, mit vielen Zahlen und Schaubildern unterfütterte Einführung in die Entwicklung von Wohlfahrtsstaatentypen in Europa. Die Kapitel zur EU‑Ebene vermitteln jedoch teilweise einen etwas naiven Eindruck.
Björn Wagner (BW)
Dipl.-Politologe, Doktorand und Lehrbeauftragter, Universität Jena.
Rubrizierung: 3.5 Empfohlene Zitierweise: Björn Wagner, Rezension zu: Thilo Fehmel: Sicherungsbewahrung. Weinheim/Basel: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36998-sicherungsbewahrung_43984, veröffentlicht am 24.04.2014. Buch-Nr.: 43984 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken