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Theodor Heuss

Der Bundespräsident. Briefe 1954-1959. Hrsg. und bearb. von Ernst Wolfgang Becker, Martin Vogt und Wolfram Werner

Berlin/Boston: Walter de Gruyter 2013 (Theodor Heuss. Stuttgarter Ausgabe: Briefe); 710 S.; 39,95 €; ISBN 978-3-598-25128-3
In Zeiten, in denen man sich schon fast daran gewöhnt hat, dass eine Bundeskanzlerin die Republik (hoffentlich nur augenscheinlich) per SMS regiert, eröffnet sich mit diesem Band wieder der Blick in einen inzwischen verlorenen Kommunikationsraum – den der auf Papier verfassten Briefe. Theodor Heuss hat in seinem Leben so viele geschrieben, dass die Stuttgarter Ausgabe acht Bände ausgewählter Korrespondenz umfassen wird. Mit dieser Edition liegen die Briefe aus seiner zweiten Amtszeit als Bundespräsident vor – zehn bis 15 schrieb er jeden Tag persönlich (an dem sich abschwächenden Briefwechsel mit seinem Sohn lassen sich allerdings schon die Zeichen einer neuen Zeit ablesen, so der Hinweis in der Einführung: das Telefon beginnt sich durchzusetzen). Im Vorwort des Editionsbeirates wird Heuss denn auch als „Homme de Lettres“ gerühmt, „der intellektuelle Reflexion und Übernahme von politischer Verantwortung in Einklang zu bringen vermochte“ (8). Das mag auch stimmen, aber eben nicht ausschließlich, wie die kritische Einführung von Ernst Wolfgang Becker und Wolfram Werner zeigt. Sie loten den Theodor Heuss aus, der sich tatsächlich zwischen seiner öffentlichen Banalisierung durch ihm Zugeneigte als „Papa Heuss“ und dem Diktum von Johannes Gross über einen Langeweiler im höchsten Amt – „‚Heute könnte solch ein Typ an bedeutender Stelle nicht mehr vorkommen.‘“ (17) – befand. Ihre Befunde, die sich auf eine Auswertung von Heuss‘ Briefen stützen, vermitteln ein äußerst ambivalentes Bild. So maß Heuss einerseits der Beschäftigung mit der NS‑Vergangenheit einen hohen Stellenwert bei und gedachte auf seinen Reisen nach Italien und Griechenland den dortigen Opfern der NS‑Besatzung; andererseits gratulierte er einem NS‑Verbrecher zur Haftentlassung und setzte sich für die Freilassung eines anderen ein. Diese Briefe sind zum Fremdschämen geeignet. Dass er sich auch noch dafür engagierte, dass Ernst Jünger das Große Bundesverdienstkreuz erhielt, ist dann nur noch eine weitere Peinlichkeit. Becker und Werner schärfen in ihrer Einleitung, in der sie auf einige Briefe explizit hinweisen sowie Amtsverständnis und Wirken beleuchten, den Blick auf die Edition – und damit darauf, dass die Briefe gerade durch die Ambivalenzen durchaus den Gemütszustand der damaligen Bundesrepublik reflektieren.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.32.313 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Theodor Heuss: Der Bundespräsident. Berlin/Boston: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37010-der-bundespraesident_45323, veröffentlicht am 24.04.2014. Buch-Nr.: 45323 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken