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Lars Distelhorst

Leistung. Das Endstadium der Ideologie

Bielefeld: transcript Verlag 2014 (Edition Politik 18); 189 S.; kart., 22,99 €; ISBN 978-3-8376-2597-4
An der Schnittstelle divergierender Gesellschaftsdiagnosen findet sich ein Befund, auf den sich vom Ökonomen über den Realpolitiker bis zum Gros der Bevölkerung wohl jeder einigen kann: Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Dass damit noch sehr wenig gesagt ist, veranlasst Lars Distelhorst, diesem sozialen Organisationsprinzip nachzugehen, verspricht es doch sowohl objektiver Maßstab als auch Garant von Gerechtigkeit zu sein. Schnell führt ihn diese Suche an ein logisches Dilemma, in dem sich Leistung als unbestimmbar entpuppt. Doch diese Inhaltsleere hat nach Ansicht von Distelhorst System: In einer kapitalistischen Gesellschaft, in der sich die Zirkulationssphäre des Kapitals systematisch auf alles und jeden ausbreite, sei die Sinnleere aller Bedeutungsbeziehungen und Objekte quasi vorbestimmt. Trotzdem verhalte es sich mit der Leistung nicht einfach nur wie mit allen anderen Dingen, die der „aggressiven Dynamik der Sinnlosigkeit“ (105) anheimfielen. Vielmehr sei diese Leere das Zentrum der systematisch sinnentleerten Gesellschaft, in der sich „die Lebendigkeit des Leistungsprinzips […] paradoxerweise genau aus diesem Widerspruch zwischen seiner diskursiven Omnipräsenz einerseits und faktischen Inexistenz andererseits“ (144) speise. Von diesem Befund aus entlarvt Distelhorst die ideologischen Mechanismen einer vollends kapitalisierten Gesellschaft, die sich selbst in zynischer Distanz als anti‑ideologisch geriere. Die Ausweitung und Reproduktion der systemischen Kapitallogik sei dabei ihr eigenes Instrument, mit dem zuerst Klassenverhältnisse und die Trennung von Arbeitskraft und arbeitendem Individuum aufgelöst und dann ein Übergriff auf den Menschen selbst und alles ihn Umgebende vollzogen worden sei. Der Kapitalismus begegne uns dabei als ein vollkommen fluides Verhältnis, in dem „die Leere […] verdeckt und ihre weitere Ausdehnung garantiert“ (126) werde. Dies funktioniere über den Glauben des Subjekts an das verlorene Prinzip Leistung, das Endstadium einer sich selbst erschöpfenden Ideologie. Dass dieses aber selbst nie existieren könne, verstricke das Subjekt daher in den trügerischen Verlust eines unmöglichen Objekts, den es nur in der Identifizierung mit sich selbst zu kompensieren vermag. Konfrontiert mit der eigenen Sinnleere drifte das spätkapitalistische Subjekt daher von einer konstitutiven Melancholie zusehends in die Depression ab, gegen deren systemischen Ursprung es sich zu wenden gelte. Die Konsequenzen dieser Analyse, die sich in Schärfe und Treffsicherheit zwischen der Dialektik der Aufklärung und Slavoj Žižek bewegt, mögen nicht jedem gefallen. Der Relevanz seiner Befunde tut dies keinen Abbruch.
Alexander Struwe (AST)
B. A., Politikwissenschaftler, Student, Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Rubrizierung: 5.422.25.43 Empfohlene Zitierweise: Alexander Struwe, Rezension zu: Lars Distelhorst: Leistung. Bielefeld: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37016-leistung_45448, veröffentlicht am 24.04.2014. Buch-Nr.: 45448 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken