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Agnieszka Gąsior / Agnieszka Halemba / Stefan Troebst (Hrsg.)

Gebrochene Kontinuitäten. Transnationalität in den Erinnerungskulturen Ostmitteleuropas im 20. Jahrhundert

Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag 2014 (Visuelle Geschichtskultur 13); 352 S.; 59,90 €; ISBN 978-3-412-22256-7
Basierend auf einem von 2006 bis 2011 am Leipziger Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas durchgeführten Forschungsprojekt werden in den elf deutsch‑ und sechs englischsprachigen Beiträgen des Bandes nationenübergreifende Erinnerungsmuster im östlichen Europa untersucht. Sie sind teilweise bis heute politisch wirkmächtig und werden immer wieder aktualisiert – Geschichte dient als Mittel, „um Legitimität zu produzieren und kollektive Identität herzustellen“ (17). Im Mittelpunkt stehen vor allem religiös motivierte Aspekte von Erinnerung, an die über das gesamte 20. Jahrhundert hinweg in unterschiedlichen nationalen Kontexten auf unterschiedliche Art und Weise angeknüpft werden konnte. Dabei zeigt sich, dass „Elemente der Kontinuität […] in aller Regel wirkungsmächtiger waren als Diskontinuitäten“. Drei „Erinnerungsfolien“ (9) erweisen sich als besonders prägend: die Vorstellung einer sogenannten Vormauer‑Funktion etwa gegenüber dem Islam oder dem „Osten“, ein (konfessionenübergreifender) Marienkult und die intensive Verehrung der sogenannten Slawenapostel des 9. Jahrhunderts Kyrill und Method. Entsprechende Formen ließen sich auch zur Zeit des Staatskommunismus in das offizielle Geschichtsbild integrieren. Wie Stefan Rohdewald zeigt, wurde Kliment – ein Schüler von Kyrill und Method – seit den 1950er‑Jahren zu einer der wichtigsten Gestalten der Geschichte der jugoslawischen Teilrepublik Makedonien stilisiert. Daniela Koleva führt am Beispiel Bulgariens aus, wie die beiden Apostel in ein national‑kommunistisches Narrativ einbezogen wurden, wobei der christliche Kontext ihres Wirkens weitgehend entfiel und man sich auf ihre kulturelle Bedeutung konzentrierte. Diese Bedeutung konnte dann nach 1989 genutzt werden, um an gesamteuropäische Bezüge im Sinne eines Beitrags zum europäischen Kulturerbe anzuknüpfen. Besonders deutlich wird die Aktualität solcher Phänomene an Jenny Alwarts Beitrag zum Dichter Taras Schewtschenko. In der Sowjetunion als „kommunistischer Heiliger“ (274) verehrt, bildet seine Person heute den „herausragendsten Erinnerungsort in der Gegenwartskultur [der Ukraine]“ (268) über alle regionalen Unterschiede hinweg.
Martin Munke (MUN)
M. A., Europawissenschaftler (Historiker), wiss. Hilfskraft, Institut für Europäische Studien / Institut für Europäische Geschichte, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 2.612.23 Empfohlene Zitierweise: Martin Munke, Rezension zu: Agnieszka Gąsior / Agnieszka Halemba / Stefan Troebst (Hrsg.): Gebrochene Kontinuitäten. Köln/Weimar/Wien: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37339-gebrochene-kontinuitaeten_45941, veröffentlicht am 24.07.2014. Buch-Nr.: 45941 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken