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Gert Melville / Gregor Vogt-Spira / Mirko Breitenstein (Hrsg.)

Gerechtigkeit

Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag 2014 (Europäische Grundbegriffe im Wandel 1); 270 S.; brosch., 29,90 €; ISBN 978-3-412-22182-9
Der als theoretische wie praktische und noch dazu – zumindest in Ansätzen – als transkulturelle Auseinandersetzung angelegte Band verfolgt den Anspruch, den für jedes menschliche Zusammensein so immens wichtigen Begriff der Gerechtigkeit in seiner ihm inhärenten Dynamik von der Antike bis in die Gegenwart zu erfassen. Unter Gerechtigkeit verstehen die Herausgeber „ein Regulativ sozialer Interaktionen, das dem Ausgleich unterschiedlicher Interessen und Konditionen dient und damit sowohl zur Stabilität von gesellschaftlichen Ordnungen als auch zur Wahrung persönlicher Ansprüche beiträgt“ (11). Während Karl‑Joachim Hölkeskamp die Wurzeln dieses, wie Otfried Höffe es genannt hat, „Leitziels der Menschheit“ (17) bei den Griechen und Römern ausleuchtet und dabei auf die schon dort sehr vielfältigen Verflechtungen zwischen Gerechtigkeit, Recht, Freiheit und Politik hinweist, fokussiert Hans Vorländer den gegenwärtigen Theoriediskurs. Während er eingangs eine „frappierende Unbestimmtheit“ (199) hinsichtlich der Frage, was unter Gerechtigkeit zu verstehen sei, ausmacht und als Beleg einen Parforceritt durch die politische Philosophie und Theorie von Rawls über Sen, Benjamin, Derrida bis hin zu Luhmann unternimmt, steht am Ende seines Beitrages doch eine sehr eindeutige Festlegung. Gerechtigkeit wird in ihrer konkreten Ausgestaltung immer aus einem „gesamtgesellschaftlichen Diskurs“ (214) hervorgehen – wovor, kleiner Seitenhieb, auch die Systemtheorie trotz anderslautenden Anspruchs nicht gefeit sei. Es ist an Carlos Ruta, die Beiträge zum transkulturellen Aspekt des Gerechtigkeitsdiskurses einzuleiten, die sich mit der islamischen Welt befassen. Man könnte nun über die Auswahl ausgerechnet dieses Beispiels streiten (indes jedes andere wäre ähnlich kontingent), zielführender ist jedoch die Suche nach Gemeinsamem oder Trennendem. Es fällt auf, dass, wie Ruta ausführt, im Unterschied zum Okzident dem orientalischen – islamischen – Gerechtigkeitsverständnis „der diskursive Charakter“ (248) fehle. Überlegungen dazu, wie sich derlei konzeptionelle Inkompatibilitäten überbrücken ließen, würden sicherlich einen weiteren Band füllen. Die Auseinandersetzung mit dem Begriff der Gerechtigkeit in diesen Beiträgen ist nicht nur von so grundlegender Natur, dass sie gut als Einstieg in eine vertiefende Auseinandersetzung taugen – der Band ist auch der erste in einer Reihe von insgesamt sechs zu zentralen Grundbegriffen (Sorge, Freiheit, Erkenntnis, Schönheit und Glückseligkeit), die nach dem gleichen Muster aufgebaut sein werden.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.15.35.42 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Gert Melville / Gregor Vogt-Spira / Mirko Breitenstein (Hrsg.): Gerechtigkeit Köln/Weimar/Wien: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37628-gerechtigkeit_45943, veröffentlicht am 02.10.2014. Buch-Nr.: 45943 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken