Hannah Arendt als Philosophin, Literatin, Schriftstellerin und Künstlerin den Eingrenzungen der politischen Theorie zwischen Politikwissenschaft und Philosophie zu entreißen, ist die innere Aufgabenstellung des Bandes. Hatte die politikwissenschaftliche Arendt‑Forschung zuletzt nach ihrem Verständnis von Politik, Staat und auch Recht gefragt, wollen die Herausgeber Ulrich Baer und Amir Eshel diese Rezeption unterbrechen, um kurz innezuhalten bei einem Bereich des „Dazwischen“, des Einfügens und/oder des Einwands. Sie versammeln namhafte Literaturwissenschaftler, Übersetzer und Autoren aus Deutschland, Israel und den USA, um die geistige und literarische Seite Arendts zu entdecken. Thomas Wild formuliert dies mit dem Nachdenken über das, was das Politische überhaupt sei, das „Konstellieren“, das Arendt besonders in ihrem „Denktagebuch“ auszeichne. Den Spuren „von Notat, Exzerpt, Reflexion, Fragment, Zitat, Gedicht“ (101) folgend, offenbaren die fundierten und inhaltsreichen Beiträge ihre vielfältigen philosophischen Wurzeln, alltäglichen Denkanstöße oder literarischen Bilder. Dass die Autoren dabei besonders die Bedeutung des Denkens, der Sprache, des Neu‑Beginnes (im Geboren‑Werden oder der „Natalität“) und des Handelns bei Arendt hervorheben, ist folgerichtig und überzeugend. Der analytische Zugriff auf Arendts Briefe, überlieferte Gesprächsfetzen oder Erinnerungen an Gedichte und Erzählungen entgeht dabei einer psychologisierenden Deutung. Und doch schimmert das politische Denken hervor, seien es die philosophischen Räume, die Arendts Auseinandersetzung mit ihrer jüdischen Identität oder mit der Situation von Flüchtlingen öffnet, oder ihr Verständnis von Freiheit und Zugehörigkeit. In diesem Sinne offenbart der Versuch, Arendt abseits der politischen Theorie zu umreißen, tatsächlich eine ideengeschichtliche Fragestellung.