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Helmut Hubacher

Hubachers Blocher

Oberhofen am Thunersee: Zytglogge 2014; 227 S.; brosch., 26,- €; ISBN 978-3-7296-0880-1
Kein anderer Politiker hat die politische Debatte in der Schweiz derart geprägt wie Christoph Blocher. Blocher hat die Schweizerische Volkspartei (SVP), die zunächst als klientelpolitischer und kompromissbereiter Juniorpartner der beiden großen bürgerlichen Parteien agierte, in die Oppositionspartei schlechthin verwandelt. Unter seiner Ägide konnte die radikalisierte SVP ihren Stimmanteil nahezu verdreifachen und binnen weniger Jahre von der vierten Kraft zur deutlich stärksten Partei der Schweiz avancieren. In puncto Blocher scheint es weder Unentschiedenheit noch Gleichgültigkeit zu geben: Den einen gilt er als un‑schweizerischer Scharfmacher, den anderen als standhafter Patriot, der das Schweizer Volk vor einer imperialen EU und der Ausländerkriminalität zu schützen weiß. Blocher polarisiert und diese Polarisierung ist stets an die politische Identität der Schweiz geknüpft: hier die konkordanzdemokratisch integrierte Musterrepublik, in der mehr oder weniger alles in Ordnung ist; dort die existenziell bedrohte, wehrhafte Alpenfestung. Das weiß auch der langjährige Präsident der Sozialdemokratischen Partei (SP), Helmut Hubacher, – zumal sich Blochers rhetorische Vehemenz seit jeher in erster Linie gegen Hubachers Partei richtet. Dennoch ist „Hubachers Blocher“ keine Abrechnung. Hubacher versucht vielmehr, dem „Anti‑Blocher‑Reflex“ (79) zu entgehen, Blocher nicht zu verteufeln, sondern zunächst zu verstehen. Und genau dieser Versuch wirft eine Reihe spannender Fragen auf: Wie zum Beispiel ist es seiner Partei gelungen, ihre systematische Oppositionspolitik zu legitimieren? Wie konnte Blocher aus dem „Korsett der Konkordanz“ (Altermatt) ausbrechen, ohne als das extremistische Andere der konkordanzdemokratischen Schweiz marginalisiert zu werden, wie es vielen Exponenten der SVP geschehen ist? Wenngleich Hubacher seine Partei gegen Blochers Angriffe entschlossen verteidigt, seinerseits gegen Blochers Geschichtspolitik polemisiert und eine sozialdemokratische Alternative zum neoliberalen Freiheitsbegriff der SVP skizziert, erkennt der Sozialdemokrat doch das politische Talent, die Leidenschaft und die Leistungen Blochers an. Der Führer der SVP erscheint dann auch nicht als populistischer Opportunist, sondern als populistischer Überzeugungstäter. Damit ist freilich kein Heilmittel gegen die Hegemonie des kulturrassistischen Diskurses gefunden, mit dem Blocher & Co im Kampf gegen Masseneinwanderung, Islamisierung und Europäische Integration politisieren, aber einige Anregungen dazu finden sich in Hubachers achtungsvoller Abrechnung mit Blocher sehr wohl.
Marius Hildebrand (HIL)
M. A., Politikwissenschaftler, Doktorand, Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.52.24 Empfohlene Zitierweise: Marius Hildebrand, Rezension zu: Helmut Hubacher: Hubachers Blocher Oberhofen am Thunersee: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37695-hubachers-blocher_45570, veröffentlicht am 23.10.2014. Buch-Nr.: 45570 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken