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Bo Lidegaard

Die Ausnahme. Oktober 1943: Wie die dänischen Juden mithilfe ihrer Mitbürger der Vernichtung entkamen. Aus dem Englischen von Yvonne Badal

München: Karl Blessing Verlag 2013; 591 S.; 24,99 €; ISBN 978-3-89667-510-1
Dieser Teil der Geschichte Europas unter der NS‑Gewaltherrschaft enthält eine Botschaft von zeitloser Allgemeingültigkeit – der Einzelne und eine demokratische Gemeinschaft, die zusammen unkorrumpierbar an ihren Prinzipien festhalten, können auch unter widrigsten Umständen ihre Menschlichkeit und ihr Mitgefühl bewahren und damit den Menschenrechten Geltung verschaffen. Bo Lidegaard, langjähriger Diplomat und Chefredakteur der Tageszeitung Politiken, erzählt davon in seinem bewegenden Buch über die Rettung der dänischen Juden. Nur in Dänemark – und Bulgarien – blieben sie während des Zweiten Weltkrieges mit wenigen Ausnahmen am Leben, in beiden Ländern „betrug der Anteil ermordeter Juden weniger als ein Prozent“ (279), während in Polen, Ungarn, den Niederlanden und weiteren Ländern 20 bis 90 Prozent der jüdischen Bevölkerung im Holocaust starben. Lidegaard betont, dass in jedem besetzen Gebiet andere Bedingungen herrschten, die NS‑Besatzung länderspezifisch funktionierte. Dennoch macht er die Willfährigkeit der einheimischen Gesellschaften und Behörden als einen wesentlichen Faktor dafür aus, inwieweit es den Nationalsozialisten gelang, ihr Kernanliegen – die Ermordung aller jüdischen Menschen – in die Tat umzusetzen. Die dänische Geschichte ist insofern ein Einzelfall als die Besetzung am 9. April 1940 notgedrungen hingenommen wurde und die Regierung dafür durchsetzen konnte, dass die innere Verfasstheit, einschließlich König und Regierung, um den Preis der Kooperation unangetastet blieb. Bis zur Verhängung des Ausnahmezustandes im August 1943 waren damit auch die jüdischen Bürger geschützt. Sie waren nie gesondert registriert worden und so erklärte Dänemark, es existiere keine „Judenfrage“. Der Verlauf der Geschichte wurde so tatsächlich aufgehalten, denn das Deutsche Reich schätzte die Kooperation und wichtige Akteure, die angesichts des Krieges nicht mehr von einem Endsieg ausgehen konnten oder ohnehin dem Regime gegenüber kritisch eingestellt waren, warnten vor der dann doch angesetzten Deportation. In jener Nacht vom 1. auf den 2. Oktober 1943 hatten sich so die meisten Betroffenen versteckt, anschließend setzte eine Fluchtbewegung nach Schweden ein – die dortige Regierung hatte allen aus Dänemark fliehenden Juden eine neue Heimat angeboten. Lidegaard schildert diese dramatischen Tage, in denen fast eine ganze Bevölkerung zu Fluchthelfern wurde, entlang von Tagebüchern und Zeitzeugenberichten, die die Ereignisse noch einmal lebendig werden lassen. Deutlich sind so die vielen Möglichkeiten zu erkennen, schreibt Lidegaard unter anderem mit Blick auf Norwegen, „die anderenorts verpasst wurden“ (534).
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 4.12.612.312 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Bo Lidegaard: Die Ausnahme. München: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37794-die-ausnahme_44748, veröffentlicht am 20.11.2014. Buch-Nr.: 44748 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken