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Hans-Ulrich Wehler

Die Deutschen und der Kapitalismus. Essays zur Geschichte

München: C. H. Beck 2014; 174 S.; 14,95 €; ISBN 978-3-406-65945-4
Die dreizehnte und letzte Aufsatzsammlung, die Hans‑Ulrich Wehler – der große, 2014 verstorbene Sozialhistoriker – publiziert hat, enthält zwanzig Texte aus den Jahren 2009 bis 2013. Bis auf zwei Ausnahmen – „Die Mauer und die Jahre danach“ und „Forsthoff etwas konkreter“ – sind diese Arbeiten teils in Sammelbänden, teils als Zeitungsartikel erschienen. Wehler zeigt sich in ihnen erneut als kritischer Historiker, der in hohem Maße von Max Weber beeinflusst ist. Kritisch heißt in diesem Zusammenhang, dass Wehler zum einen für eine Geschichtswissenschaft argumentiert, die historische Prozesse immer auch im Kontext des jeweiligen Herrschaftsverbandes untersucht und in dieser Hinsicht offen ist für Übernahmen einschlägiger sozialwissenschaftlicher Theoriebildung. Zum anderen kommentiert Wehler aktuelle politische Entscheidungen und Strömungen auf Basis eines normativen, ebenso rechtsstaatliche wie sozialstaatliche Perspektiven aufgreifenden Staatsverständnisses. Die Aufsätze sind locker um drei Themen gruppiert. Um Fragen der deutschen Politikgeschichte geht es im ersten Block. Sie enthalten unter anderem ein Plädoyer für ein der neoliberalen Marktdogmatik strikt entgegengesetztes Kapitalismusverständnis, eine nachdrückliche Würdigung der innenpolitischen Leistungen des Bundesverfassungsgerichtes und einen provozierenden Blick auf den Verlauf der sogenannten Sarrazin‑Debatte. Die zweite Gruppe befasst sich mit neueren Entwicklungen der Geschichtswissenschaft. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht sind hier vor allem die Bezüge interessant, die Wehler zur Soziologie und zur Politikwissenschaft herstellt. Besonders pointiert fällt seine Kritik an Rational‑Choice Ansätzen aus, die namentlich die „Politikwissenschaft immer näher an eine dogmatisch verengte Mainstream‑Ökonomie“ (103) heranrücken. Aufsätze der dritten Gruppe schließlich nehmen Stellung zu unterschiedlichen politischen Debatten – so zur Entscheidung der früheren CDU‑FDP‑Koalition gegen eine Frauenquote, der These Götz Alys, die NS‑Politik der Judenverfolgung beruhe auf einem spezifisch deutschen Sozialneid, und zur strukturellen Kontinuität der sozialen Ungleichheit in Deutschland.
Thomas Mirbach (MIR)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.32.351.3 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Hans-Ulrich Wehler: Die Deutschen und der Kapitalismus. München: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37799-die-deutschen-und-der-kapitalismus_45428, veröffentlicht am 20.11.2014. Buch-Nr.: 45428 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken