Ein Sonderforschungsbereich, dessen Thema „Bedrohte Ordnungen“ ist, ist notwendigerweise interdisziplinär ausgerichtet. Der SFB 923, der im Sommer 2011 an der Universität Tübingen seine Arbeit aufgenommen hat, untersucht Extremereignisse historischer und gegenwärtiger Gesellschaften. Entsprechend breit gefächert sind die beteiligten Wissenschaften. Der Politikwissenschaft kommt dabei eine noch auszubauende Rolle zu. Denn bei der Eröffnungsveranstaltung im März 2012 standen die Geschichts‑ und Geowissenschaften weit im Vordergrund. Dabei ging es um Konkretionen des gesamten Forschungsfeldes und grundsätzliche Perspektiven. Ewald Frie (Neuzeithistoriker und Sprecher des SFB) sowie Mischa Meier (Althistoriker und stellvertretender SFB‑Sprecher) eröffnen den Band mit einem Basisbeitrag, der „am Ende der ersten Forschungsphase ein tentatives Modell Bedrohter Ordnungen“ (27) in Aussicht stellt. Dessen Struktur ist bereits erkennbar: mit den vier Feldern Aufruhr, Katastrophen, Ordnungszersetzung und Ordnungskonkurrenz. Entfaltet werden diese Forschungsfelder in vier Beiträgen, die jeweils typische Fallbeispiele aufrollen: der Aufruhr Heinrichs V. gegen seinen Vater Kaiser Heinrich IV., raumrelevante Großkatastrophen wie Erdbeben, Lawinen, Hungersnöte, die Ordnungszersetzung in der späten römischen Republik und die Ordnungskonkurrenz zwischen Platonismus und Christentum in der Spätantike. Die so exemplarisch skizzierten Forschungsfelder ermöglichen vielfältige Perspektiven. Eine politikwissenschaftliche entfaltet Roger Petersen, Professor of Political Science am MIT. Er beleuchtet das Problem der Interventionen westlich dominierter Organisationen in Failed States mit dem Ziel der Wiedererlangung politischer Ordnung. Dabei zeigen sich am Beispiel des Kosovo‑Einsatzes von 1999 bis 2004 sowohl die Möglichkeiten als auch Grenzen einer externen militärischen Lösung interner Ordnungskonflikte. Im Tübinger Sonderforschungsbereich „Bedrohte Ordnungen“ kann (und sollte) deshalb gerade auch die Politikwissenschaft eine fundamentale Rolle spielen.