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Heribert Schwan / Tilman Jens

Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle

München: Wilhelm Heyne Verlag 2014; 256 S.; 19,99 €; ISBN 978-3-453-20077-7
Es gibt Bücher, bei denen man sich schon vor dem Lesen fragt, warum sie geschrieben wurden. So verhält es sich mit diesem Band, der Auszüge aus den Gesprächsmitschnitten enthält, die entstanden sind, als Heribert Schwan noch Ghostwriter der Memoiren von Altkanzler Helmut Kohl war (siehe Buch‑Nr. 28642 und 24174). Kohl hat gerichtlich die Herausgabe der Bänder erwirkt. Was Schwan hier schnöde begeht, ist ohne Zweifel ein Vertrauensbruch, für den er sich ausgiebig rechtfertigt. Schließlich sei er „der Autor seiner Lebenserinnerungen“ (18), habe mit Kohl selbst „keinerlei rechtliche Vereinbarungen“ (29) getroffen, lediglich mit dem Verlag der Erinnerungsbände. Schwan habe in der gesamten Zeit, in der die Aufzeichnungen entstanden, „nicht einmal mehr richtig Urlaub gemacht“ (39) und musste beim regelmäßigen Essen im Deidesheimer Hof „ausnahmslos“ (42) die Rechnung zahlen, was in Anbetracht der wiederkehrenden Verweise auf den gesunden Appetit Kohls wohl auch keine Kleinigkeit gewesen sein dürfte. Das Buch ist über weite Strecken die Geschichte einer tiefen innerlichen Kränkung des nach dem Erscheinen des dritten Erinnerungsbands geschassten Ghostwriters. Schwan aber sieht sich im Recht, hält es für geboten, Auszüge zum Besten zu geben. Es sei ja am Ende nicht Kohl selber gewesen, sondern eine Intrige von Maike Richter‑Kohl, der zweiten Frau des Altkanzlers, die nunmehr über dessen Nachlass gebiete. Der wahre Wille Kohls sei ein anderer gewesen. Schwan maßt sich an, einen „letztlich testamentarischen Auftrag“ (48) des langjährigen CDU‑Vorsitzenden umzusetzen. Zudem, Schwan sei ja „nicht nur Historiker, sondern vor allem Journalist“ (99) und als solcher müsse man all diese Zitate veröffentlichen und Kohl selbst „scheint ausdrücklich damit einverstanden zu sein“ (106), weil dieser einmal frotzelte, dass Schwan ja in 30 Jahren noch einmal ein anderes Buch über Kohl schreiben könne. Was erfährt man in dem Band abseits der ständigen Rechtfertigungen des geschmähten Autors? Es sind einige plakative, zuweilen anekdotische, aber wenig systematisierte oder kontextualisierte Aussagen Kohls, die so montiert sind, dass sie eine mediale Effekthascherei ermöglichen. Allenfalls der Blick auf Kohls Seelenleben wenige Monate nach dem Spendenskandal und in den Wochen des Ablebens seiner ersten Frau Hannelore mag interessieren, doch gerade der Historiker in Schwan hätte diesbezüglich Zurückhaltung üben müssen. Quellen der Oral History sind nun einmal im Kontext der Entstehung und vor dem Hintergrund des hier sehr spezifischen Interesses des Befragten an einer Veröffentlichung zu werten. Was ungeschützt im Keller des Kohl‘schen Bungalows besprochen wurde, war letztlich nicht dafür bestimmt, in dieser Form veröffentlicht zu werden.
{SKL}
Rubrizierung: 2.32.3132.3152.331 Empfohlene Zitierweise: Stephan Klecha, Rezension zu: Heribert Schwan / Tilman Jens: Vermächtnis. München: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37922-vermaechtnis_46415, veröffentlicht am 18.12.2014. Buch-Nr.: 46415 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken