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Frank Trommler

Kulturmacht ohne Kompass. Deutsche auswärtige Kulturbeziehungen im 20. Jahrhundert

Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag 2014; 732 S.; 49,90 €; ISBN 978-3-412-21119-6
Frank Trommler hat ein voluminöses Werk über die politische Mobilisierung deutscher Kultur im Wechselverhältnis zu anderen Kulturen und in den Strömungen von Modernismus und Antimodernismus im 20. Jahrhundert verfasst. Im Kontext einer Politik‑, Kultur‑, Diplomatie‑ und Institutionengeschichte möchte er so das Thema der auswärtigen Kulturbeziehungen zum Schlüssel für das Verständnis der modernen internationalen Geschichte machen. Die ambitionierte Arbeit soll damit nichts weniger als eine Gesamtbilanz der deutschen Kulturpolitik bieten. Trommler beginnt mit der Weltausstellung in St. Louis im Jahre 1904 und beschreibt die sich im Anschluss daran schnell herausbildende Institutionalisierung der insbesondere auf wissenschaftlich‑technischem Gebiet gesuchten deutschen Vormachtstellung im Gegenüber und in Konkurrenz zu der neuen Weltmacht der Vereinigten Staaten von Amerika. Der Nationalisierung und der damit einhergehenden Engführung eines deutschen Kulturverständnisses (Kapitel 2) folgt die Gleichsetzung von Kultur und Militär in den „Ideen von 1914“. Der Verfasser geht hier nicht nur auf die wechsel‑ und leidvolle Geschichte deutscher jüdischer Kultur, sondern auch auf die Außenwahrnehmung eines wachsenden deutschen Kulturimperialismus ein. Facettenreich, widersprüchlich und hoffnungsvoll ist die Kulturpolitik der Weimarer Republik (Kapitel 4), in der einerseits Berlin zur Kulturhauptstadt Osteuropas avanciert und Austauschprogramme zwischen Künstlern und Wissenschaftlern im großen Maßstab organisiert, andererseits aber die deutsch‑französischen Ressentiments und Animositäten kulturell verstärkt und im Verbund mit einem wachsenden Antiamerikanismus die kulturelle Frontstellung gegenüber dem „Westen“ zementiert werden. Die Mobilisierung nationaler Kultur im Zweiten Weltkrieg (Kapitel 5) ruiniert die bisher doch weitgehend positive Bewertung deutscher Kultur im Ausland nachhaltig. Endgültig vollzieht sich das Ende der Kulturmacht Deutschland nach 1945. Vorsichtig beginnt, nach einer nahezu völligen politischen Bedeutungslosigkeit einer westdeutschen Kulturpolitik, ein zaghafter Wiederaufbau im Kontext eines internationalen (vor allem europäischen) Brückenbaus (Kapitel 6). Europäisierung und Internationalisierung werden so zu den offenen Horizonten einer Kulturpolitik, deren Selbstverortung in einer Gesellschaft, die sich immer schneller „entbürgert“, zunehmend problematisch wird. Welche Gravitationsfelder heute den Kompass deutscher Kulturpolitik bestimmen, ist daher immer schwieriger auszumachen. Die umfangreiche und weit ausholende Darstellung der deutschen Kulturpolitik im 20. Jahrhundert bietet einen anregenden Einblick in die Möglichkeiten und Grenzen auswärtiger Kulturpolitik sowie ein besseres Verständnis über Deutschlands gegenwärtige Rolle in der Welt.
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Rubrizierung: 2.312.3112.3122.3132.3144.21 Empfohlene Zitierweise: Georg Kamphausen, Rezension zu: Frank Trommler: Kulturmacht ohne Kompass. Köln/Weimar/Wien: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38132-kulturmacht-ohne-kompass_45041, veröffentlicht am 05.03.2015. Buch-Nr.: 45041 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken