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Tobias Wunschik

Knastware für den Klassenfeind. Häftlingsarbeit in der DDR, der Ost-West-Handel und die Staatssicherheit (1970-1989)

Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2014 (Analysen und Dokumente 37. Wissenschaftliche Reihe des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR); 364 S.; 29,99 €; ISBN 978-3-525-35080-5
Westdeutsche, die vor 1989 in Schuhen von Salamander unterwegs waren, ihre Wäsche in Maschinen von Quelle wuschen und ihre Bücher in Billy‑Regale von IKEA sortierten und dabei all diese Produkte zu relativ günstigen Preisen erworben hatten, waren Nutznießer spezieller Geschäftsbeziehungen: Westliche Unternehmen hatten eine große Anzahl an Verträgen mit der DDR abgeschlossen, um dort ihre Waren herstellen zu lassen. Dabei sorgte man sich um die Qualität und schickte auch den TÜV zur Kontrolle über die Grenze. So gut wie gar nicht aber kümmerte man sich darum, wie Tobias Wunschik in dieser informationsreichen Studie zeigt, um die – politischen wie kriminellen – Häftlinge, die, neben freien Beschäftigten, zu diesen Arbeiten herangezogen wurden. Dabei lagen spätestens Ende der 1970er‑Jahre „so viele übereinstimmende Aussagen ehemaliger Häftlinge vor, dass der Arbeitseinsatz von Gefangenen für Westfirmen als allgemein bekannt gelten durfte“ (257). Aber Aufforderungen etwa von IKEA, Waren nicht von Häftlingen fertigen zu lassen, waren nur halbherzig, meist gelang es der DDR, Betriebskontrollen zu verhindern. Mindestens 80 Prozent der Häftlinge, Männer, Frauen und Jugendliche, wurden in der DDR zur Arbeit gezwungen, wie Wunschik diesen Vorgang begrifflich fasst, und meist zu unqualifizierten, monotonen und oft gesundheitsgefährdenden Arbeiten eingesetzt. Wunschik arbeitet die oft unwürdigen Bedingungen detailreich auf, selbst Arbeitsstätten, in denen es wiederholt zu Unfällen oder beispielsweise Quecksilbervergiftungen kam, wurden unverändert weiterbetrieben. Die offiziell in der DDR vertretenen Ansinnen, die Häftlinge seien mit der Arbeit zusätzlich zu bestrafen und zu erziehen, traten dabei regelmäßig gegenüber den wirtschaftlichen Notwendigkeiten in den Hintergrund. Die Häftlinge wurden in der immer maroden DDR‑Wirtschaft als Arbeitskräfte schlicht gebraucht, was Wunschik auch unter Hinweis auf die Produktionsengpässe nach mehreren großen Amnestien belegen kann. Die Aufgabe der Staatssicherheit war dabei, für reibungslose Betriebsabläufe zu sorgen und den Einsatz von Häftlingen gegenüber dem Westen geheim zu halten. Die Häftlinge selbst konnten sich nur durch langsames Arbeiten zur Wehr setzen, selten kam es, wie 1953 im Frauengefängnis Hoheneck, zu einem Hungerstreik. Weiteren Aufklärungsbedarf sieht Wunschik für das Vorhaben Mitte der 1980er‑Jahre, als – obwohl nicht einmal der Inlandsbedarf gedeckt war – Häftlinge Blut für Plasmaverkäufe an das Bayerische Rote Kreuz spenden sollten. Die in der Haftanstalt Gräfentonna eingesetzten Krankenschwestern aber weigerten sich, den offensichtlich gezwungenen Häftlingen das Blut abzunehmen. Es war ein seltener Akt der Zivilcourage.
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Rubrizierung: 2.3142.3132.342 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Tobias Wunschik: Knastware für den Klassenfeind. Göttingen u. a.: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38133-knastware-fuer-den-klassenfeind_45409, veröffentlicht am 05.03.2015. Buch-Nr.: 45409 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken