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Franziska Dübgen

Was ist gerecht? Kennzeichen einer transnationalen solidarischen Politik

Frankfurt a. M./New York: Campus Verlag 2014; 330 S.; kart., 39,90 €; ISBN 978-3-593-50099-7
Ist Entwicklungspolitik gerecht? Oder allgemeiner gefragt: Wie verhalten sich die beiden Begrifflichkeiten Entwicklung und Gerechtigkeit zueinander? Im Hintergrund der Frage steht, dass das ökonomisch‑modernistische Entwicklungsdispositiv trotz offensichtlicher Problematiken nichts von seiner Dominanz verloren hat. Zwar mehren sich kritische Stimmen, implizit wird jedoch weiterhin postuliert, dass Armut (als Ausdruck von Ungerechtigkeit) eine Frage ökonomischer (Unter‑)Entwicklung sei. Aber kann ein Entwicklungsmodell, dessen Erfolge nicht zuletzt auf der Ausbeutung peripherer Regionen beruhen, überhaupt angewandt werden, um die von ihm selbst verursachten Probleme zu lösen? Logischer scheint die Schlussfolgerung, dass dies nur auf Kosten neuer Ungerechtigkeiten und mittels einer Verschiebung von Ausbeutungsverhältnissen möglich ist – und die Erfahrungen mit Entwicklungspolitik scheinen dies durchaus zu bestätigen. Nun ist es nicht das Anliegen der Autorin, entwicklungspolitische Initiativen auf ihre Effizienz hin zu untersuchen. Solange Entwicklungspolitik nämlich als solidarische Pflicht definiert und damit moralisch legitimiert wird, lässt sich Kritik an ihr nicht konstruktiv formulieren. Franziska Dübgen setzt deshalb an einem anderen Punkt an und hinterfragt unser Verständnis von solidarischem Handeln, Gerechtigkeit, Armut und Entwicklung ganz grundlegend. Unter Rückgriff auf die Kritische Theorie sowie postkoloniale, feministische und phänomenologische Ansätze untersucht sie das komplizierte Verhältnis der genannten Begrifflichkeiten aus unterschiedlichen Perspektiven. Ihr explizites Ziel ist es dabei, dem „eurozentrischen Überlegenheitsgestus moralphilosophischer Überlegenheit“ (16) alternative Impulse zu liefern, wie unter Einbezug sowohl der Geber‑ als auch der Empfängerperspektiven neu oder anders über Gerechtigkeit nachgedacht werden kann. Im Ergebnis stellt transnationale Solidarität für die Autorin weniger eine fest umrissene Definition dar, als vielmehr eine Praxis, die Armut gleichermaßen skandalisiert wie Reichtum, indem sie einen Dialog zwischen den Perspektiven etabliert. Das einseitig definierte „Recht auf Entwicklung“ wird dabei abgelöst durch „das Recht und die Notwendigkeit, die Formen und Ziele gesellschaftlichen Fortschritts selbstständig zu generieren“. Solch ein Dialog führt zwangsläufig zu Unverständnis und Konflikten. Erst wenn diese Konflikte „zum expliziten Gegenstand der politischen Kontestation“ (300) erhoben würden, lasse sich ein Gerechtigkeitsdiskurs etablieren, der Ausgangspunkt für eine echte transnationale Solidarität sei.
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Rubrizierung: 5.425.424.44 Empfohlene Zitierweise: Björn Wagner, Rezension zu: Franziska Dübgen: Was ist gerecht? Frankfurt a. M./New York: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38316-was-ist-gerecht_45537, veröffentlicht am 23.04.2015. Buch-Nr.: 45537 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken