Skip to main content
Domenico Losurdo

Von Hegel zu Hitler? Geschichte und Kritik eines Zerrbildes. Aus dem Italienischen von Erdmute Brielmayer

Köln: PapyRossa Verlag 2015; 181 S.; pb., 18,- €; ISBN 978-3-89438-564-4
Der Haupttitel des Buches verweist auf die gleichnamige Dissertation Hubert Kiesewetters aus dem Jahr 1973 (in 2., überarb. Aufl. 1995, siehe Buch‑Nr. 644). Diese kam allerdings noch ohne das Fragezeichen aus und trug den Untertitel „Die politische Verwirklichung einer totalitären Machtstaatstheorie in Deutschland (1815‑1945)“. Damit ist das „Zerrbild“ genannt, dessen Geschichte rekonstruiert und dessen Inhalt in Losurdos Buch kritisiert werden soll. Es besagt, dass Hegels Verherrlichung des Staates und sein organisches Staatsdenken zu den wesentlichen geistigen Ursprüngen des Nationalsozialismus zu zählen seien. Karl Popper hat es im 20. Jahrhundert mit der wohl größten Wirksamkeit vertreten. Losurdo strebt die Rehabilitation Hegels nun nicht dadurch an, anhand des liberalen Grundgehalts seiner Staatstheorie die Abwegigkeit dieser These zu belegen (maßgebend hierfür ist nach wie vor Shlomo Avineri: „Hegels Theorie des modernen Staates“), sondern die ideengeschichtlichen Irrungen und Wirrungen der Entstehung und die verschiedenen Instrumentalisierungen jenes Zerrbildes zu rekonstruieren. Dies geschieht in drei Stufen (Hegel und Bismarck, Hegel und die Ideen von 1914 sowie Hegel und der Faschismus/Nationalsozialismus). Die Argumentation erfolgt mit detailreicher Kenntnis der Ideengeschichte des Hegelianismus und Antihegelianismus, gerät dabei aber etwas voraussetzungsreich, sodass die Lektüre ohne Vorkenntnisse der Problematik kaum zu empfehlen ist. Erschwert wird diese durch einen über die Maßen dialektischen, springenden und zuweilen handstreichartigen Argumentationsstil, der einer ideengeschichtlichen Untersuchung nicht gerade angemessen ist. Gemäß seiner eigenen politischen Anschauungen, für die der einschlägige Verlag für die deutsche Übersetzung spricht, gerät Losurdo jedoch selbst in die eine oder andere Verirrung. Ihm ist darin zu folgen, dass Hegel mitnichten Teil jener europaweit agierenden reaktionären Kräfte war, die teilweise selbst am antihegelianischen Zerrbild arbeiteten und den Faschismus und Nationalsozialismus vorbereiteten. Doch schweigt Losurdo hartnäckig zum zweiten Teil des Popper‘schen Vorwurfs. Der bestand darin, dass Hegel nicht nur zu Hitler führte, sondern auch zu Stalin. Das ist zwar genauso abwegig wie der erste Teil, für Losurdo aber uninteressant. Der schreibt eine linke Hegel‑Apologie, die alles Übel bei den ‚Reaktionären‘ sucht.
{BR}
Rubrizierung: 5.332.3112.3122.61 Empfohlene Zitierweise: Andreas Braune, Rezension zu: Domenico Losurdo: Von Hegel zu Hitler? Köln: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38325-von-hegel-zu-hitler_46368, veröffentlicht am 23.04.2015. Buch-Nr.: 46368 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken