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Florian Gräßler

War die DDR totalitär? Eine vergleichende Untersuchung des Herrschaftssystems der DDR anhand der Totalitarismuskonzepte von Friedrich, Linz, Bracher und Kielmansegg

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2014 (Extremismus und Demokratie 30); 362 S.; brosch., 69,- €; ISBN 978-3-8487-1855-9
Politikwiss. Diss. Chemnitz; Begutachtung: E. Jesse, G. Lindemann. – Die DDR war keine Demokratie, sondern eine Diktatur, und intuitiv ist man auch geneigt, sie als totalitär zu etikettieren. Der Autor stellt fest, dass es für diese Einordnung bisher keine wissenschaftlich fundierte Begründung gebe. Daher geht er in seiner von der Hanns‑Seidel‑Stiftung finanzierten Arbeit der Frage nach, ob das DDR‑Herrschaftssystem totalitär war – totalitär im Sinne vier unterschiedlicher Konzepte: Anhand der Modelle von Friedrich, Linz, Bracher und Kielmansegg analysiert Florian Gräßler den SED‑Staat in der Zeit von 1949 bis 1989. Der Autor schreibt einleitend: „Der Untergang des realsozialistischen Regimes 1989 entzog dem Argument der politisch‑ideologischen Instrumentalisierbarkeit [der Totalitarismuskonzepte] weitgehend die Grundlage.“ (24) Auch betont er, dass er weder „emotional noch politisch“, sondern „wissenschaftlich motiviert“ (24) gearbeitet habe. Neben staatlichen Einrichtungen untersucht Gräßler unter anderem die Bereiche Massenorganisationen, Wirtschafts‑ und Bildungssystem sowie die Kirchen. Letztere stellten „die einzigen nicht gleichgeschalteten Institutionen“ (190) dar, da sie sich dem Zugriff der Machthaber entziehen und ihre Selbstständigkeit hätten verteidigen können. Diese Sonderstellung verdankten die Kirchen einer Übereinkunft der alliierten Siegermächte. Nach Friedrichs Konzept des Totalitarismus weise ein totalitäres System sechs Merkmale auf: eine totalitäre Ideologie, eine Massenpartei, eine Geheimpolizei, ein Nachrichtenmonopol, ein Waffen‑ und Gewaltmonopol sowie eine gelenkte Wirtschaft. Totalitär sei der Marxismus‑Leninismus und Antifaschismus der DDR gewesen, urteilt Gräßler, ebenso wie die SED als Massenpartei. Mit dem „Überwachungs‑ und Unterdrückungsapparat“ (223) des MfS habe eine Geheimpolizei existiert; die Medien seien unter staatlicher Kontrolle gewesen, auch wenn dies nicht zu einer vollständigen Monopolisierung der öffentlichen Meinung geführt habe. Die Befehlsgewalt über bewaffnete Kräfte habe allein bei der SED‑Führung gelegen, abgesehen von der über die sowjetischen Soldaten. Auch das Kriterium der zentralistischen Planwirtschaft sieht der Autor erfüllt. Nach weiterer Überprüfung anhand der weiteren drei Konzepte kommt Gräßler zu der abschließenden Einschätzung, dass die DDR begründbar als totalitäres Regime aufzufassen sei. Allerdings ziehen bereits die Herausgeber der Buchreihe, Uwe Backes und Eckhard Jesse, im Vorwort dieses Urteil in Zweifel, da die relative Freiheit der Kirchen ihm entgegenstehe.
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Rubrizierung: 2.314 Empfohlene Zitierweise: Wolfgang Denzler, Rezension zu: Florian Gräßler: War die DDR totalitär? Baden-Baden: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38336-war-die-ddr-totalitaer_46709, veröffentlicht am 23.04.2015. Buch-Nr.: 46709 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken