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Henning Melber

Namibia – Gesellschaftspolitische Erkundungen seit der Unabhängigkeit

Frankfurt a. M.: Brandes & Apsel 2015; 214 S.; pb., 19,90 €; ISBN 978-3-95558-109-1
„Grund zum Feiern gibt es nach einem Vierteljahrhundert Unabhängigkeit […] nur teilweise und längst nicht für all jene, denen mit der Befreiung von kolonialer Fremdherrschaft die Verheißung auf gesellschaftliche Teilhabe und der Anspruch auf ein besseres Leben in Aussicht gestellt wurden“ (181), diagnostiziert Henning Melber, Sohn deutscher Einwanderer nach Südwestafrika und Mitglied der South‑West Africa People‘s Organisation (SWAPO), anlässlich der 25‑jährigen Unabhängigkeit Namibias kritisch. Melber, habilitierter Politikwissenschaftler und ehemaliger Direktor der Dag Hammarskjöld Stiftung, gelingt in seinem neuen – im populärwissenschaftlichen Stil verfassten – Buch über die gesellschaftspolitischen Prozesse seit der Unabhängigkeit 1990 eine umfassende (wenn auch teils subjektive) Bestandsaufnahme. Gleich zu Beginn greift er die jüngste Debatte über den Begriff des Völkermords und die historische Verantwortung Deutschlands für den Vernichtungsfeldzug gegen die Völker Herero und Nama im ehemaligen Deutsch‑Südwestafrika (1904–1908) auf. Melber beurteilt die Verwendung des Begriffs Völkermord ohne jeden Zweifel als gerechtfertigt und verweist dabei auf die „objektiven und extern mitbestimmten Grenzen“ (12) einer möglichen namibischen Emanzipation. Dass Chancen hierzu vertan wurden, liege insbesondere an den Versäumnissen der deutschen Politik (keine Schuldanerkennung, materielle Zurückhaltung) und dem allgemeinen Dilemma zwischen wohlmeinender Unterstützung und anmaßender Einmischung in innere Angelegenheiten. Darüber hinaus geht Melber auf die inneren Grenzen der Emanzipation ein, die er mit Bezug auf die SWAPO mit dem selbstgerechten Pathos, der Verinnerlichung von Herrschaft und dem Umstand definiert, dass Befreier wiederum zu Unterdrückern werden können. Von dieser Kritik nimmt sich der Autor nicht aus. Daraus resultierende Folgen schätzt er als verheerend für die aktuelle Situation Namibias ein, da vorhandene Handlungsspielräume den Eigeninteressen der Elite geopfert wurden, was er am Beispiel des Tourismus und der variablen Auslegung politischer Verhältnisse (insbesondere der persönlichen oder familiären Machtausübungen) festmacht. Empirisch fundiert unterstreicht er seine Argumente mit Statistiken zur sozialen und wirtschaftlichen Lage, die Namibia als ein ökonomisch tief gespaltenes Land ausweisen. Trotz der Schwierigkeiten, die der Bericht eines Beteiligten mit sich bringt, und einer thematisch unstrukturierten Mitte des Buches, werden nicht alle, aber doch die zentralen Kategorien einer gesellschaftspolitischen Analyse angesprochen.
{CHE}
Rubrizierung: 2.67 Empfohlene Zitierweise: Christian Heuser, Rezension zu: Henning Melber: Namibia – Gesellschaftspolitische Erkundungen seit der Unabhängigkeit Frankfurt a. M.: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38451-namibia--gesellschaftspolitische-erkundungen-seit-der-unabhaengigkeit_46937, veröffentlicht am 21.05.2015. Buch-Nr.: 46937 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken