Skip to main content
Andreas Weigelt / Klaus-Dieter Müller / Thomas Schaarschmidt / Mike Schmeitzner (Hrsg.)

Todesurteile sowjetischer Militärtribunale gegen Deutsche (1944-1947) Eine historisch-biographische Studie

Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2015 (Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung 56); 488 S.; geb., 69,99 €; ISBN 978-3-525-36968-5
Diese Auswertung von zwei Datenbanken bei der Dokumentationsstelle der Stiftung Sächsische Gedenkstätten sowie im Hannah‑Arendt‑Institut für Totalitarismusforschung ist eine beeindruckende Lektüre – man wird in die unmittelbare Nachkriegszeit geworfen, als noch alle Verbrechen des NS‑Regimes geradezu gegenwärtig gewesen sein müssen. Dabei werden gängige Ansichten über die willkürliche und despotische Herrschaft der sowjetischen Besatzungsmacht über das Gebiet der späteren DDR einer genaueren Überprüfung unterzogen; der Blick wird dabei frei für feine Differenzierungen, die sicherlich einer weiteren Historisierung des Themenkomplexes dienlich sind. Der Band ist damit explizit „seinem Wesen nach weder ein Gedenk‑ noch ein Opferbuch“ (8), sondern die Todesurteile sowjetischer Militärtribunale gegen deutsche Zivilisten im Zeitraum von 1944 bis 1947 werden, wie im Vorwort der Herausgeber angekündigt, nüchtern dargestellt. Konkret ermittelt wurden 3.301 Todesurteile, von denen 2.542 vollstreckt wurden. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Feststellung, dass mit „69,8 Prozent […] die Verfolgung von Kriegsverbrechen mehr als zwei Drittel der Urteilsbegründungen“ (53) bildete, wie Klaus‑Dieter Müller in seinem Beitrag über „Verbrechensahndung und Besatzungspolitik“ ausführlich erläutert. Das Vorgehen, Verbrechen im Zusammenhang mit dem Krieg – „vor allem dem Völkermord an den Juden, den Massenmorden im Rahmen des Partisanenkriegs und der Behandlung sowjetischer Zivilisten und Kriegsgefangener“ – zu ahnden, stuft Müller als „ein legitimes Anliegen“ ein, „wie es auch die anderen Alliierten verfolgten“ (61). Die politische Propaganda habe dabei keine Rolle gespielt, da mit wenigen Ausnahmen die Prozesse nicht öffentlich waren. Diese fehlende Öffentlichkeit verweist allerdings auf die Problematik, die mit diesen Verfahren verbunden war: Sie folgten keinen rechtsstaatlichen Regeln, Möglichkeiten der Beweisaufnahme und Verteidigung waren prinzipiell nicht gegeben, Urteile standen von vornherein fest. Mike Schmeitzner fächert zudem den nicht immer stringenten Umgang mit den ehemaligen NS‑Eliten auf, der von politischen Nützlichkeitsüberlegungen nicht frei war und zu uneinheitlichen Urteilen führte. Andreas Weigelt entschlüsselt die Urteile gegen ein Polizeibataillon als bisher unbekanntes Kapitel der justiziellen NS‑Aufarbeitung, im abschließenden Beitrag ordnet er dann mit einer Fallgruppenübersicht die Daten ein. Die Kurzbiografien der Verurteilten sind auf einer beigelegten CD einzusehen.
{NW}
Rubrizierung: 4.12.624.222.3142.252.312 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Andreas Weigelt / Klaus-Dieter Müller / Thomas Schaarschmidt / Mike Schmeitzner (Hrsg.): Todesurteile sowjetischer Militärtribunale gegen Deutsche (1944-1947) Göttingen u. a.: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39125-todesurteile-sowjetischer-militaertribunale-gegen-deutsche-1944-1947_47366, veröffentlicht am 26.11.2015. Buch-Nr.: 47366 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken