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Guy Standing

Prekariat. Die neue explosive Klasse. Aus dem Englischen von Sven Wunderlich

Hamburg/Münster: Unrast 2015; 278 S.; 18,- €; ISBN 978-3-89771-579-0
Das Prekariat könne als „eine Klasse auf dem Weg der Entstehung“ (18) bezeichnet werden, schreibt Guy Standing in seinem 2011 veröffentlichten und nun erstmals in deutscher Übersetzung vorliegenden Buch. Ob man dieser Einschätzung folgen kann, sei dahingestellt – zum einen erscheint durchaus fraglich, ob ‚das Prekariat‘ jemals als einheitlicher Akteur politische Wirkmächtigkeit erzielen wird, treffen Prekarisierungsprozesse doch zum anderen nicht nur die ‚Unterschicht‘ oder Teile der traditionellen Arbeiterklasse, sondern Menschen mit vollkommen unterschiedlichen sozialen und kulturellen Hintergründen. Dies arbeitet auch der Autor heraus, zeigt dabei aber trotzdem, dass es gerade bestimmte Bevölkerungsgruppen sind, die dem Prekarisierungsrisiko verstärkt ausgesetzt sind, so insbesondere Frauen, Jugendliche, Ältere und Migrant_innen. Die vermeintlich stabile Beschäftigungslage etwa in Deutschland täuscht diesbezüglich darüber hinweg, dass diese um den Preis einer zunehmend ungleichen Verteilung von Chancen und Sicherheiten entstanden ist. Ungeachtet der Frage, mit welchen Begrifflichkeiten man das Prekariat charakterisiert, wird in Standings detaillierter Analyse deutlich, dass wir es nicht nur mit einer der zentralen gesellschaftlichen Metaentwicklungen unserer Zeit zu tun haben, sondern dass diese Entwicklung enorme gesellschaftliche Sprengkraft enthält. Zunehmender Populismus und Rechtsextremismus stellen dabei nur eine bedrohliche Konsequenz von vielen dar. Die bisherigen politischen Reaktionen, so der Autor, liefen größtenteils auf verstärkte Überwachungs‑ und Zwangsmaßnahmen hinaus – nicht zuletzt unter dem Stichwort Workfare gehe die Tendenz in Richtung einer „Tyrannei der Mehrheit“ (224), die eine immer noch halbwegs stabile (wenn auch schrumpfende) Sicherheitszone auf Kosten der Marginalisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen aufrechterhalte. Angesichts dieser Entwicklungen diskutiert Standing im letzten Kapitel Maßnahmen, die einer langfristigen gesellschaftlichen Destabilisierung entgegenwirken könnten. Interessant ist in diesem Zusammenhang etwa seine Forderung einer „vollständige[n] Kommerzialisierung der Lohnarbeit“ (234), mit der er die Widersprüchlichkeit der gegenwärtig dominierenden Politik aufdeckt: Während das Workfare‑System vermeintlich der Deregulierung und Durchsetzung des Prinzips freier Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt dient, verfestigen die staatlichen Zwangsmaßnahmen doch umgekehrt gerade eine Aufhebung des Konkurrenzprinzips.
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Rubrizierung: 2.22.222.2624.42 Empfohlene Zitierweise: Björn Wagner, Rezension zu: Guy Standing: Prekariat. Hamburg/Münster: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39131-prekariat_47627, veröffentlicht am 26.11.2015. Buch-Nr.: 47627 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken