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Florian Kreutzer, unter Mitarbeit von Sümeyye Demir

Stigma "Kopftuch". Zur rassistischen Produktion von Andersheit

Bielefeld: transcript Verlag 2015 (global local Islam); 234 S.; 29,99 €; ISBN 978-3-8376-3094-7
Das Verbot, ein Kopftuch zu tragen, stelle eine Diskriminierung dar, die nicht akzeptiert werden könne. So äußerten sich US‑amerikanische Studierende gegenüber dem Autor. Deutsche Studierende hingegen sprachen sich für ein Verbot aus, denn das Kopftuch sei ein „Symbol des islamischen Fundamentalismus“ (7) und unterdrücke Frauen. Vor dem Hintergrund dieser verschiedenen Interpretationen in der Debatte über das Tragen muslimischer Schleier untersucht Florian Kreutzer rassistische Tendenzen und Praktiken in der deutschen Gesellschaft. Er fragt, wie die Stigmatisierung verschleierter Frauen zu einer „Produktion von Andersheit“ (oder auch: „doing race und racial othering“, 12) durch die Mehrheitsgesellschaft führt und wie die betroffenen Frauen sich dagegen wehren („undoing difference beziehungsweise undoing race“, 3). Grundlage für Kreutzers qualitative Studie sind zwanzig narrative Interviews, die 2012 von seiner damaligen Praktikantin Sümeyye Demir mit verschleierten Frauen türkischen Migrationshintergrundes geführt wurden. Im Fokus der Gespräche stand die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Druckkosten des Buches übernahm die Hochschule der Bundesagentur für Arbeit, an der Kreutzer als Soziologieprofessor tätig ist. Er verweist darauf, dass der Schleier als Symbol kultureller Auseinandersetzungen eine lange Tradition hat. Schon die Briten hätten im 19. Jahrhundert mit Entschleierungskampagnen versucht, den Widerstand im kolonialisierten Ägypten zu brechen. In Fallstudien zeigt der Autor dann konkrete Diskriminierungserfahrungen auf, etwa bei einer Interviewten, die aufgrund ihres Schleiers große Schwierigkeiten hatte, eine Anstellung als Kindergärtnerin zu finden. Einer weiteren befragten Frau wurde ein Ausbildungsplatz zur Zahnarzthelferin mit der Begründung verweigert, ihre Kopfbedeckung wäre „unhygienisch“ (69). Kreutzer resümiert, dass die befragten schleiertragenden Frauen hohe Hürden in ihren Laufbahnen hätten nehmen müssen, da sie wegen ihrer ethnischen und sozialen Herkunft benachteiligt worden seien. Die Stigmatisierung aufgrund ihrer Kopfbedeckung hätten die Frauen aber „durch ihre Selbstdarstellung als eigenständige Persönlichkeiten“ (195) durchkreuzen und unterlaufen können. Sie hätten durch ihre Lebensgeschichten gezeigt, dass Charakter, Kompetenz und Leistung nicht durch den Kleidungsstil geprägt seien. Das Buch enthält im Anhang einen Überblick über die sozio‑ökonomischen Daten der Interviewten. Das methodische Vorgehen wird im Detail beschrieben und kritisch reflektiert.
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Rubrizierung: 2.35 Empfohlene Zitierweise: Wolfgang Denzler, Rezension zu: Florian Kreutzer, unter Mitarbeit von Sümeyye Demir: Stigma "Kopftuch" Bielefeld: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39344-stigma-kopftuch_47419, veröffentlicht am 04.02.2016. Buch-Nr.: 47419 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken