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Hamed Abdel-Samad

Mohamed. Eine Abrechnung

München: Droemer Knaur 2015; 240 S.; hardc., 19,99 €; ISBN 978-3-426-27640-2
Das Buch beginnt mit einer historischen Einordnung der Bedeutung, die die Biografie Mohameds als Instrument der Herrschaftslegitimation in einem entstehenden islamischen Imperium einnahm. Für die gesellschaftliche Debatte wichtig ist auch die Darstellung der Brückenfunktion, die diese „Prophetenbiografie“ für den Transfer politischer Ideen des 7./8. Jahrhunderts in die heutige Zeit einnimmt. Nach dieser Einordnung widmet sich der Islamwissenschaftler Hamed Abdel Samad (der sich selbst auch als ehemaligen Islamisten bezeichnet) der Person Mohamed und wirft auch hier wichtige, im Kontext der islamischen Religion sensible Fragen auf: War er ein uneheliches Kind? Gehörte er, wie es die islamische Tradition berichtet, zur mekkanischen Führungsschicht oder doch eher zu den unteren Klassen? Welchen Einfluss hatte seine Vita auf die Glaubensvorstellungen? Umfangreich setzt sich der Autor mit der Beziehung Mohameds zu den Frauen in seinem Leben auseinander und verweist auch hier auf wichtige Inkonsistenzen der islamischen Mohamed‑Tradition: Wie konnte seine erste Frau Khadidscha eine erfolgreiche Händlerin sein und ihn gegen den Wunsch ihres Vater heiraten, wenn doch erst Mohamed die Frauen aus dem Besitz ihrer Männer und Väter befreit hat? Was steckte hinter seiner besonderen Liebe zu der deutlich jüngeren Aischa, deren Berichte einen Großteil der islamischen Tradition zum Propheten darstellen und die damit einen wesentlichen Anteil an der Ausformung der islamischen Religion hatte – und das sicher auch vor dem Hintergrund der Herrschaftssicherung ihres Vaters Abu Bakr, des ersten Kalifen und direkten Nachfolgers Mohameds? Was waren die tatsächlichen Verbesserungen, die Mohamed für die Stellung der Frau eingeführt hatte? Im letzten Teil des Buches versucht der Autor dann aus den islamischen Quellen ein Psychogramm zu entwerfen und attestiert Mohamed, an Epilepsie (genauer: Stirnlappenepilepsie) gelitten zu haben. Dass er dabei darauf verweist, dass bereits im 8. Jahrhundert christliche Gelehrte zu derselben Auffassung gelangt sind, bestätigt indes lediglich, dass es nicht unüblich war (und ist), religiöse und politische Gegner als geisteskrank zu diffamieren. Interessanter sind da die islamischen Berichte selbst über den Zustand Mohameds beim Empfang göttlicher Offenbarungen. Auch die manchmal mit Epilepsie auftretende Hypergraphie ließe sich in der Masse des Materials, das Mohamed „geoffenbart“ wurde, erkennen. Einzelne Berichte über seine Handlungen könnten ebenfalls einen Anfangsverdacht auf Zwangsstörungen bilden. Bei diesem Buch handelt es sich nicht um eine Biografie, es hat eine persönliche Note („Abrechnung“) und möchte provozieren. Die Fragen, die Abdel‑Samad im Kontext von Mohameds Vita aufwirft, machen das Buch indes lesenswert und können einen wichtigen Beitrag zur öffentlichen und akademischen Diskussion leisten.
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Rubrizierung: 5.342.232.25 Empfohlene Zitierweise: Michael Rohschürmann, Rezension zu: Hamed Abdel-Samad: Mohamed. München: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39355-mohamed_47880, veröffentlicht am 04.02.2016. Buch-Nr.: 47880 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken