Skip to main content
Felix Butzlaff

Die neuen Bürgerproteste in Deutschland. Organisatoren – Erwartungen – Demokratiebilder

Bielefeld: transcript Verlag 2016 (Studien des Göttinger Instituts für Demokratieforschung 10); 303 S.; 32,99 €; ISBN 978-3-8376-3341-2
Die politischen und wirtschaftlichen Krisen in Europa haben dazu geführt, dass ein Teil der Bürger_innen „mit den klassischen politischen Willens‑ und Meinungsbildungsprozessen nicht mehr einverstanden“ ist und das „Vertrauen in die Funktionsfähigkeit und Legitimation unserer Demokratie zumindest teilweise verloren“ (12) hat. Diese Menschen haben in den zurückliegenden Jahren ihr Unbehagen in „neuen Bürgerprotesten“ (Titel) zum Ausdruck gebracht, deren Formen stark variieren: Sie reichen von Aktivitäten gegen Bauprojekte über Occupy‑Camps bis hin zu Internetkampagnen. Wer sind diese protestierenden Bürger_innen und ihre Protagonist_innen? Welche Vorstellungen haben sie von Demokratie, Politik, Wirtschaft und Staat und wie lauten ihre Forderungen? Mit diesen Fragen setzt sich der Politologe Felix Butzlaff auseinander. Aufgrund seiner umfassenden Analyse gelangt er zu folgendem Ergebnis: Der organisierte Bürgerprotest sei zunächst einmal „ein Zeichen von Selbstbewusstsein innerhalb einer Gesellschaft“ (269). Denn die Protestierenden verfügten größtenteils über ein gutes Einkommen und einen hohen Bildungsstand. Butzlaff arbeitet ein „positiv‑elitäres Selbstbild als „Kader““ (273) heraus: „Es ist ihnen ein Anliegen, zu zeigen, dass sie einen besseren, früheren Durchblick über die Zusammenhänge der Welt erlangt haben; weil sie diese Zusammenhänge verstanden haben, protestieren sie; wer noch nicht dabei ist, hat es noch nicht umfassend kapiert.“ (272 f.) Auch wenn es sich etwa um ein konkretes Bauprojekt handele, würden die Proteste laut eigenem Anspruch immer auf komplexere gesellschaftliche und politische Zusammenhänge zielen. Dass sich die Vorstellungen der Protestierenden teilweise widersprechen, zeigt Butzlaff am Beispiel des Begriffs Minderheit: Einerseits wollen sie als Minderheit von der Politik wahrgenommen werden, wenn es um ihre Belange geht, andererseits sehen sie Minderheiten als problematisch an und kritisieren deren angeblich rücksichtsloses Verfolgen von Partikularinteressen. Das Selbstverständnis als Verteidiger_innen einer wahren, ‚richtigen‘ Demokratie entlarvt Butzlaff als leere Floskel, die nur von strategischer Bedeutung sei, denn umfassende direktdemokratische Verfahren seien den Protestierenden in Wahrheit suspekt. Insgesamt hält Butzlaff das Aufkommen der Bürgerproteste in einer Demokratie für problematisch: „Wenn nur diejenigen als Kontrollinstanz für ein Gemeinwohl wirken können, welche ganz individuell die Ressourcen, Fähigkeiten und das Selbstbewusstsein dazu haben, würde eine Exklusion ganzer sozialer Gruppen, die durch den weniger aufwändigen Partizipationskanal von Wahlen und Repräsentationsorganen bislang noch Eingang in die politischen Entscheidungsstrukturen finden, womöglich noch weiter fortschreiten.“ (278)
{JBU}
Rubrizierung: 2.3312.35 Empfohlene Zitierweise: Jessica Burmester, Rezension zu: Felix Butzlaff: Die neuen Bürgerproteste in Deutschland. Bielefeld: 2016, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39697-die-neuen-buergerproteste-in-deutschland_48232, veröffentlicht am 19.05.2016. Buch-Nr.: 48232 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken