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Philipp Ther

Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent. Eine Geschichte des neoliberalen Europa

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2014; 431 S.; 26,95 €; ISBN 978-3-518-42461-2
Philipp Ther, der für diesen Band 2015 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet worden ist, gelingt Beeindruckendes: Jenseits einer „modischen Fundamentalkritik“ (26) entwirft er eine Retrospektive auf die Rhetoriken und Politiken, mithin auf die Anwendungen und sozialen Folgen einer ökonomischen Ideologie, der es wie keiner anderen gelungen ist, als etwas nachgerade Natürliches, Alternativloses zu erscheinen. Die Analyse der Wirkungen des Neoliberalismus in Europa nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, wie sie auch schon von Naomi Klein in ihrem Band „Die Schock‑Strategie“ (siehe Buch‑Nr. 33203) beschrieben worden sind, gründet auf einigen zentralen Annahmen. Neoliberalismus impliziere „den Primat der Ökonomie, eine grundsätzliche Kritik am Staat sowie die Intention, ihn zurückzudrängen (eines der Motive hinter der breit angelegten Privatisierung), und ein bestimmtes Menschenbild, das des Homo oeconomicus“. Trotz dieser konsensualen „Fixpunkte“ (25) ist eine Analyse nicht leicht, denn sie ist mit einem hinsichtlich seines Aggregatzustandes sehr besonderen Gegenstand konfrontiert: „Dieter Plehwe zufolge“, so Ther, „muss der ‚hegemoniale Neoliberalismus [...] als politische Philosophie und politische Praxis plural gedacht werden’. Es handelt sich somit um ein ‚moving target’, das sich laufend verändert, anpasst und gerade deshalb so wirkmächtig ist.“ (24) Mit Blick auf die Entwicklungen in Ostmittel‑, Südosteuropa und im Baltikum nach dem Ende des Staatssozialismus konstatiert Ther für die Zeit unmittelbar nach dem Systemwechsel einen ersten, neoliberal inspirierten Reformschub. Im Zuge einer „zweiten Welle des Neoliberalismus“ (122) wurde die bis dahin vorherrschende Öffnung und Liberalisierung nationaler Märkte durch stärker auf das Innere der Gesellschaft ausgerichtete Maßnahmen abgelöst. Etwa zehn Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs begannen Flat‑Tax‑Projekte und eine ausgreifende Humankapitalisierung, die jenseits des Stereotyps vom „Jammerossi“ (129) durch ein Heer von „Millionen von Selbständigen“ (130) geprägt war, die sich – auf sich gestellt – eine neue Existenz aufzubauen versuchten. Und was kommt nach dem Neoliberalismus? Ther hält eine Renaissance des Staates für möglich. Jenseits aller Privatisierungs‑ und Deregulierungsprozesse sei vermehrt zu beobachten, dass „das europäische Sozialstaatsmodell [...] nicht mehr als obsolet, sondern als zukunftsfähig“ (354) gelte. Die plumpe Dichotomie entlang der Linien staatlich/schlecht und privat/gut lasse sich immer weniger aufrechterhalten.
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Rubrizierung: 2.612.22.212.222.252.3423.1 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Philipp Ther: Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent. Frankfurt a. M.: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39704-die-neue-ordnung-auf-dem-alten-kontinent_46628, veröffentlicht am 26.05.2016. Buch-Nr.: 46628 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken