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Matthias Braun / Bernd Florath (Bearb.)

Die DDR im Blick der Stasi 1981. Die geheimen Berichte an die SED-Führung

Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2015 (Die DDR im Blick der Stasi); 320 S.; 30,- €; ISBN 978-3-525-37505-1
„In unserer Gesellschaft werden permanent Feindbilder erzeugt und Hass und Gewaltbereitschaft geweckt.“ (75) Die Studierenden einer innerkirchlichen Ausbildungsstätte in Naumburg fanden 1981 klare Worte zur Diskrepanz zwischen den Lippenbekenntnissen der SED zum Frieden und der Militarisierung der Gesellschaft. Ihr offener Brief an die Institutionen der Evangelischen Kirche landete noch vor seiner Veröffentlichung in den geheimen Berichten an die SED‑Führung (zur Reihe siehe unter anderem Buch‑Nr. 43607). Für die Buchausgabe dieser Dokumentensammlung (vollständig auf CD‑ROM sowie unter www.ddr‑im‑blick.de) haben Matthias Braun und Bernd Florath diesen und andere Berichte zusammengestellt, die eindrucksvoll einen Wandel ankündigen – obwohl das MfS die Berichte weiterhin vornehmlich zum Gefallen der SED‑Führung schrieb, was auch immer wieder zu erkennen ist. Herauszulesen ist, dass den äußeren Rahmen dieses Wandels zum einen die Ereignisse in Polen (Stichwort Solidarno??) bildeten und zum anderen das als zunehmend veraltete und zu keiner Problemlösung mehr fähige Regime in der Sowjetunion unter der Führung von Breschnew – kurz, die Legitimität des Systems schwand. Im Inneren der DDR formierte sich eine Friedensbewegung, die mit dem ständig propagierten Gegensatz von Ost und West immer weniger anfangen konnte. Zugleich, und diese Berichte lesen sich besonders spannend, kam es zu zivilem Ungehorsam, bei dem die Staatsmacht mitunter schlicht ignoriert wurde. So verabredete sich im März 1981 eine Alte‑Herren‑Mannschaft in Wismut privat mit einer Mannschaft aus Frankfurt/Main, die unter Angabe falscher Gründe in die DDR reiste. Die Herren kickten zusammen, anschließend feierte man in einer Gaststätte. Die Stasi sah, wie der Bericht zeigt, dem selbstorganisiertem Treiben hilflos zu, erst im Nachhinein versuchte man, einige Beteiligte zu disziplinieren – es waren bezeichnenderweise auch zwei SED‑Mitglieder dabei gewesen. Ein anderes Beispiel für Selbstbehauptung ist der Protest einer jungen Frau, die mit ihrem Kind in einer aus der Not heraus besetzten und unsanierten Wohnung lebte und keine Hilfe erhielt. Sie stellte sich mit einem Plakat auf den Alexanderplatz – ihre Demonstration wurde zwar nach drei Minuten beendet, aber sie wurde nicht verhaftet und erhielt nach einigem Hin und Her die Zusage, dass ihre Wohnung mit einer Kochgelegenheit ausgestattet wird. Den theoretischen Unterbau der so erkennbaren Erosion des Systems lieferten die Berichte mit einem Bericht über Robert Havemann gleich mit – er sprach der SED angesichts ihrer Fehlleistungen die Existenz ab.
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Rubrizierung: 2.314 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Matthias Braun / Bernd Florath (Bearb.): Die DDR im Blick der Stasi 1981. Göttingen u. a.: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39707-die-ddr-im-blick-der-stasi-1981_47946, veröffentlicht am 26.05.2016. Buch-Nr.: 47946 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken