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Udo Wengst (Hrsg.)

Theodor Eschenburg. Biographie einer politischen Leitfigur 1904-1999

Berlin: De Gruyter/Oldenbourg 2015; 279 S.; 34,95 €; ISBN 978-3-11-040289-6
Der Name Theodor Eschenburg (1904–99) steht für eine der kontroversesten Debatten, die die deutsche Politikwissenschaft in jüngerer Vergangenheit ausgetragen hat. Im Kern dieser Debatte ging es um nichts weniger als die Aufrichtigkeit einer Identifikation mit der bundesrepublikanischen Demokratie, die sich über lange Jahre in dem hervorgetan hat, was Hermann Lübbe einmal als „kommunikatives Beschweigen“ (254) charakterisiert hat. Als einer der Begründer nicht nur der Politikwissenschaft, sondern auch der Politischen Bildung nach dem Zweiten Weltkrieg hat die „politische Leitfigur“ (258) Eschenburg nicht nur die Mitgliedschaft in der SS, sondern auch die sonstigen Verstrickungen in das NS‑Regime lange Jahre unter den sprichwörtlichen Teppich gekehrt. Udo Wengst argumentiert in seiner umfang‑ und detailreichen Biografie unter anderem, das Eschenburgs Anpassung während des sogenannten Dritten Reichs typisch für viele Menschen gewesen sei. Zudem habe er ab 1934 eine gewisse Distanz zum Regime gewahrt, sodass es ihm nach 1945 plausibel habe erscheinen müssen, seine Rolle während des zwölfjährigen NS‑Regimes nicht weiter zu thematisieren. Zudem habe sich Eschenburg schon lange vor der nationalsozialistischen Machtergreifung in der jungen Weimarer Demokratie engagiert. Dort sei er als konservativ orientierter Demokrat sowohl politisch als auch publizistisch hervorgetreten. Verdienstvoll ist die Darstellung aus zweierlei Gründen: Sie ermöglicht es trotz spärlicher Quellenlage für die Zeit vor 1945 deutlich mehr Licht in die Biografie eines Mannes zu bringen, für den ganz einfach gilt: „Wie viele andere Repräsentanten des Großbürgertums hat sich auch Eschenburg im Dritten Reich angepasst.“ (253) Dass diese Anpassung auch die Teilnahme an Arisierungsverfahren bedeutet, ist dabei sicher kein unwesentliches Detail. Es sind diese Fakten, mit denen Wengst es ermöglicht, auch in der DVPW‑Debatte um den Theodor‑Eschenburg‑Preis eine inhaltliche Positionierung zu finden (siehe dazu auch Buch‑Nr. 47765). Jemand, der – auf welche Art und Weise auch immer – an auf rassistischen Motiven gründender, menschenverachtender Verdrängung von deutschen Jüdinnen und Juden aus Handel, Wirtschaft und Gewerbe beteiligt war, verdient es nicht, Namensgeber eines Preises einer sich als Demokratiewissenschaft verstehenden Fachvereinigung zu sein.
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Rubrizierung: 1.32.3112.3122.313 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Udo Wengst (Hrsg.): Theodor Eschenburg. Berlin: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/40007-theodor-eschenburg_48355, veröffentlicht am 18.08.2016. Buch-Nr.: 48355 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken