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Johano Strasser

Das Drama des Fortschritts

Bonn: Verlag J. H. W. Dietz Nachfolger 2015; 422 S.; hardc., 34,- €; ISBN 978-3-8012-0477-8
Die Idee des Fortschritts ist die zentrale Triebfeder menschlicher Entwicklung. Offensichtlich ist diese Idee jedoch angesichts der heutigen multiplen Krisen selbst in die Krise gekommen. So sieht es Johano Strasser, Politikwissenschaftler und langjähriger Präsident des deutschen PEN‑Zentrums. Er geht in seinem Werk von der These aus, das zwar die Steigerung wissenschaftlicher und technischer Möglichkeiten bisher ungeahnte Ausmaße erreicht hat, der Menschheit jedoch der historische Richtungssinn für diese Entwicklungen abhandengekommen ist. Unter dem Eindruck der immer größer werdenden Pathologien des Spätkapitalismus zweifelt der Autor an einem unreflektierten „Weiter so“ und möchte aufzeigen, dass eine andere Form von Fortschritt weiterhin möglich ist. Um die Wurzel heutiger – wie vergangener – Fortschrittspathologien aufzudecken, legt Strasser dazu eine umfassende und detaillierte Ideengeschichte des abendländischen Fortschrittsbegriffes vor. Ausgehend von der Antike über die Renaissance bis hin zu den Schlachtfeldern von Verdun und dem Klimawandel zeigt Strasser die Vielseitigkeit des Fortschrittsbegriffes auf und macht die inhärente Ambivalenz dieser Idee deutlich – es sind gerade auch diese Ambivalenzen, die die teils dramatischen Folgen gesellschaftlichen Fortschritts bedingen. Darauf aufbauend wendet sich der Autor im zweiten Teil der Argumentation nun der Gegenwart zu, um zu zeigen, dass sich die heutigen gesellschaftlichen Patholgien – ob Klimawandel oder Finanzkrise – auf eine einseitige und verkürzte Auslegung von Fortschritt als rein wissenschaftlich‑technischem (und vor allem ökonomischem) Fortschritt zurückführen lassen. Dennoch gibt er sich weiterhin überzeugt, dass eine positive Neuausrichtung des gesellschaftlichen Fortschritts möglich ist. Dazu formuliert Strasser im dritten Teil seinen Vorschlag eines reflexiven Fortschritts, der sich zwar weiterhin der technischen Möglichkeiten bedient, deren Auswirkungen jedoch durch eine neue Form von Humanismus einzuhegen versucht. Fortschritt soll daher demokratisch gestaltet, reflexiv orientiert und vor allem revidierbar werden. Dieses Plädoyer untermauert der Autor anhand einer kenntnisreichen Diskussion verschiedener Vorschläge für eine nachhaltige Entwicklung. Strassers Argumentation ist vielschichtig und informiert, jedoch nur bedingt überzeugend, da sich der Eindruck aufdrängt, dass er dem von ihm selbst aufgeworfenen Problem der Ambivalenz des Fortschritts letztendlich doch ausweicht. Gerade aufgrund der ideengeschichtlichen Begriffsrekonstruktion wäre als Konklusion eine distanzierte Revision des heutigen Fortschrittsbegriffes und seiner weltanschaulichen Grundlagen zielführender und auch konsequenter gewesen.
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Rubrizierung: 2.25.424.1 Empfohlene Zitierweise: Martin Repohl, Rezension zu: Johano Strasser: Das Drama des Fortschritts Bonn: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/40028-das-drama-des-fortschritts_47731, veröffentlicht am 25.08.2016. Buch-Nr.: 47731 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken