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Christian Jakob

Die Bleibenden. Wie Flüchtlinge Deutschland seit 20 Jahren verändern

Berlin: Ch. Links Verlag 2016; 255 S.; 18,- €; ISBN 978-3-86153-884-4
In der aufgeheizten Debatte um Flucht und Asyl erinnert Christian Jakobs Buch daran, dass nicht erst seit zwei Jahren Menschen als Asylsuchende nach Deutschland kommen – sondern dass ihre Anwesenheit bereits in den vergangenen beiden Jahrzehnten die Bundesrepublik verändert hat. Der Autor, seit 2006 Redakteur der taz, sieht die Entwicklungen seit dem sogenannten Asylkompromiss von 1993 vor allem auch als das Werk der Flüchtlinge selbst. Sie hätten „den Zugang zu Deutschland freigekämpft und dabei die Gesellschaft verändert“ (8), oft durch Ungehorsam und in Konfrontation mit staatlichen Akteuren. Für die Zeit bis 2011 illustriert Jakob dazu anhand von zwölf exemplarischen Porträts von Flüchtlingen wichtige Auseinandersetzungen – zu Themen wie Abschiebungen, Polizeigewalt oder Selbstorganisation der Flüchtlinge. Es schließt sich eine Chronologie der jüngeren Entwicklungen mit Protesten, Hungerstreiks und eigenen Organisationsformen der Flüchtlinge seit 2012 an. Dabei liefert der Autor eine lesenswerte Zusammenfassung insbesondere der Entwicklungen seit 2014/15. Für Jakob ist heute, trotz Pegida‑Agitation oder Brandanschlägen auf Flüchtlingsheime, die Stimmungslage völlig anders als in den 1990er‑Jahren – in einem Land, „das Migration und die Migranten letztlich akzeptiert“ (10) habe. An mancher Stelle scheint es dabei, als ob Jakob den Mentalitätswandel etwas zu rosig sieht, etwa sogar die BILD‑Zeitung lobt, und Gefahr läuft, kurzfristigen Hype mit echten Überzeugungen zu verwechseln. Zugleich räumt er ein, dass Solidarität mit Flüchtlingen nicht nur eine starke soziale Bewegung, sondern auch „ein popkultureller Hype“, „Modeaccessoire und Bekenntnisformel geworden“ (13) sei. Der erfahrene Journalist versteht es, Stimmungen zu transportieren: Er schreibt oft szenisch, immer sprachlich ausgeklügelt, manchmal launig, auch emotionalisierend. Dass Jakob viele Jahre selbst in flüchtlingspolitischen Initiativen aktiv war, verhilft ihm zu einem geschärften Blick und Hintergrundwissen, bringt aber auch eine weltanschauliche Färbung, die man sich bei der Lektüre klar machen sollte. Auch stützt er seine Ausführungen nicht selten auf Blogs oder Berichte beteiligter Aktivisten. Dadurch findet sich eine kritische Sicht, etwa auf Akteure der Flüchtlingsorganisationen, eher selten; eine ähnliche Ausrichtung durchzieht auch die weiterführenden Lektürehinweise im Anhang des Buches. Dieser enthält außerdem ein für Einsteiger nützliches Glossar sowie Karten zu den bundesweiten Protestmärschen der Jahre 2012 bis 2015.
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Rubrizierung: 2.354.212.3312.3154.42 Empfohlene Zitierweise: Frank Kaltofen, Rezension zu: Christian Jakob: Die Bleibenden. Berlin: 2016, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/40066-die-bleibenden_48383, veröffentlicht am 15.09.2016. Buch-Nr.: 48383 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken