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Anthony B. Atkinson: Ungleichheit. Was wir dagegen tun können

11.01.2017
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Autorenprofil
Dr. rer. pol. Marko Jakob, MBA
Aus dem Englischen von Hainer Kober. Stuttgart, Klett-Cotta 2016

 

Der britische Wirtschaftsforscher Anthony B. Atkinson beschäftigt sich in seiner Monografie mit der globalen wirtschaftlichen Ungleichheit. Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Der erste Teil, „Diagnose“ (15), stellt eine Retrospektive dar, in der ökonomische Ungleichheit in den vergangenen einhundert Jahren dargestellt wird. Dabei zeigt sich, dass die wirtschaftliche Ungleichheit, vor allem in den westlichen Ländern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, bereits deutlich verringert werden konnte. Der Grund dafür waren die zwei Weltkriege, in denen hohe Vermögenswerte vernichtet wurden. Das heißt, die Verringerung der Ungleichheit war vor allem auf die Einkommensrückgänge und Vermögensverluste der wohlhabenden Bevölkerung zurückzuführen. Dementsprechend fand eine Anpassung nach unten statt.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges begannen sich die westlichen Staaten zunehmend für das Wohlergehen und die Gesundheit ihrer Bürger zu interessieren. Mithilfe einer aktiven Arbeitsmarktpolitik und einer offensiven Sozialpolitik verteilte der Staat Vermögen von oben nach unten.

Heutzutage sind die Volkswirtschaften unter anderem geprägt von: technologischem Wandel, der Globalisierung, dem Bedeutungszuwachs des Finanzdienstleistungssektors, einer veränderten Lohnpolitik, dem Bedeutungsverlust der Gewerkschaften und einer veränderten Steuerpolitik (110). Vor allem der technische Fortschritt und die Globalisierung befördern ein Auseinanderdriften der Einkommensverteilung, sodass wir uns aktuell in einer Phase der steigenden Ungleichheit befinden.

Die Globalisierung ermöglicht es, dass einfach zu produzierende Güter, die von geringqualifizierten Arbeitskräften hergestellt werden, günstig in Volkswirtschaften importiert werden können, in denen hochqualifizierte Arbeiter aus diesen Gütern hochwertige Produkte und Dienstleistungen herstellen. Der relative Preis dieser hochwertigen Güter ist aufgrund der höheren Arbeitslöhne höher als der Preis einfacher Produkte. Das bedeutet, „je höher der relative Preis der Ware, deren Herstellung sehr viel qualifiziertere Arbeit erfordert, desto höher der Lohnvorteil für qualifizierte Arbeiter“ (113). Aufgrund einer hohen Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften steigt dieser Lohnunterschied zunehmend. Die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie befördert diese Trends, indem sie vor allem gut ausgebildete Arbeitskräfte benötigt.

Im zweiten Teil macht Atkinson 15 „Vorschläge zum Handeln“ (149). Diese Maßnahmen, die dazu beitragen sollen, die Ungleichheit zu reduzieren, reichen von steuer- und arbeitsmarktpolitischen Schritten bis hin zu finanzmarktregulierenden Anregungen. So plädiert Atkinson beispielsweise für eine stärkere Fokussierung der politischen Entscheidungsträger auf den „technischen Wandel“ (303). Konkret bedeutet dies, dass der Faktor Bildung entscheidend für die Gleichheit innerhalb einer Gesellschaft ist. Weiterhin tritt der Autor für eine Stärkung der Gewerkschaften ein. Eine starke Interessenvertretung der Arbeiterschaft gegenüber dem Kapital scheint wichtig für einen Ausgleich zu sein. Zu den progressivsten Vorschlägen gehören ferner die Einführung eines Mindestlohns, die Schaffung von „garantierten öffentlichen Arbeitsplätzen“ (304) mit Mindestlohn, die Ausgabe von staatlichen Sparbriefen mit garantiertem Zinssatz, die Vergabe von Mindesterbschaften für jedermann mit Abschluss des 18. Lebensjahres, der Aufbau eines nationalen Investitionsfonds, die Anhebung des Einkommenssteuersatzes sowie die Einführung eines Grundeinkommens. Alle Maßnahmen adressieren in erster Linie den Staat. Er ist der bestimmende Akteur im Versuch, einen Ausgleich zwischen den ökonomischen Extremen zu erzielen. Vor allem in den Bereichen Wirtschaftspolitik, Arbeitsmarktregulierung, Kapitalmarkt, Steuerpolitik und Sozialpolitik werden zum Teil drastische Änderungen vorgeschlagen.

Im dritten Teil werden die zuvor beschriebenen Verbesserungsvorschläge einer kritischen Überprüfung unterzogen. Dabei geht es in erster Linie nicht um die Frage, ob die aufgezählten politischen Maßnahmen finanzierbar sind. Vielmehr werden die möglichen Auswirkungen dargestellt sowie die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geschildert. Grundsätzlich sind alle Maßnahmen umsetzbar. Allerdings ist nach Atkinson vermutlich davon auszugehen, dass nach Umsetzung der zuvor beschriebenen Maßnahmen die Wachstumsraten sinken würden. Die Fixierung auf ein stetiges Wachstum müsste weichen – der zu verteilende „Kuchen“ könnte schrumpfen. Atkinson verweist darauf, dass vor allem die nationalen Regierungen die Verantwortung für die Ungleichheit innerhalb einer Volkswirtschaft tragen. Die Entwicklung der Ungleichheit liegt daher weitgehend in der „Hand der nationalen Politiker“ (359).

Abschließend erfolgt ein Realitätscheck am Beispiel von Großbritannien. Geschildert werden die Auswirkungen auf die Staatsfinanzen. Durch die Anpassung der Einkommenssteuer könnten beispielweise Mehreinnahmen in Höhe von 31 Milliarden Pfund im Vergleich zu 2014/2015 erzielt werden. Damit könnte das Kindergeld erhöht (auf 40 Pfund pro Woche) sowie ein Grundeinkommen von 60 Pfund pro Person und Woche ausgezahlt werden. Mit solchen Maßnahmen ließe sich die Quote von in Armut lebenden Personen in Großbritannien von 16 Prozent auf 13 Prozent senken.
Indem das Buch einen Überblick über die Ursachen von Ungleichheit aufzeigt und Methoden formuliert, mit denen diese verringert werden könnte, wendet es sich vor allem an wirtschaftlich Interessierte und Politikwissenschaftler. Kapitel 2 und 3 bilden den Kern der Monografie. Besonders hervorzuheben ist die Leistung, die eigenen Ideen zu hinterfragen. Dadurch gewinnt das Buch deutlich an Relevanz. Da die Sprache des Autors prägnant und leicht verständlich gehalten ist, ohne dabei einfach zu wirken, ist das Buch darüber hinaus auch für grundsätzlich interessierte Leserinnen und Leser zu empfehlen.

 

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