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Sinthiou Buszewski / Stefan Martini / Hannes Rathke (Hrsg.): Freihandel vs. Demokratie. Grundsätze transnationaler Legitimation: Partizipation, Reversibilität, Transparenz

11.01.2017
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Autorenprofil
Dr. Max Lüggert
Baden-Baden, Nomos Verlagsgesellschaft 2016 (Schriftenreihe des Arbeitskreises Europäische Integration e. V.)

Die Debatte über die geplanten zwei großen Handelsabkommen der Europäischen Union mit Kanada (CETA) und den Vereinigten Staaten (TTIP) hatte bis zum Zeitpunkt der Präsidentschaftswahl in den USA eine Präsenz und Vielstimmigkeit erreicht, wie man dies zuvor von ähnlichen Handelsabkommen nicht gewohnt gewesen ist. Viel stärker sind auch grundlegende Fragen in den Vordergrund getreten, allen voran jene, ob durch solche Abkommen grundsätzliche Charakteristika demokratischer Politik wie Partizipation, Transparenz und Reversibilität beschränkt, wenn nicht gar vollständig aufgehoben werden.

Im April 2015 luden junge Rechtswissenschaftlerinnen und Rechtswissenschaftler zu einer Nachwuchstagung in Berlin ein, um sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen; der entsprechende Tagungsband liegt nun vor. Allgemein ist anzumerken, dass auf Rahmenbeiträge wie einen Prolog oder Epilog (abgesehen von einem Vorwort) weitgehend verzichtet wurde. Dennoch stehen die Beiträge nicht unverbunden nebeneinander, sondern sind in einzelne thematische Cluster aufgeteilt. Im ersten Beitrag des Buches bricht Sebastian Wuschka eine Lanze für den durch Handelsabkommen geregelten Investitionsschutz. So stellt die Einrichtung von Schiedsgerichten für ihn eine klare Zivilisierung des Welthandels dar; Streitigkeiten würden nicht mehr mit den militärischen Mitteln einer „Kanonenbootpolitik“ (15) durchgesetzt, sondern der Sphäre des gegenseitig akzeptierten und bindenden Rechts übergeben. Wuschka widmet sich außerdem einigen häufig geäußerten Kritikpunkten, indem er anmerkt, dass eine einseitig investorenfreundliche Rechtsprechung der Schiedsgerichte statistisch nicht nachweisbar ist, und indem er darauf hinweist, dass der Entwurf des CETA-Abkommens besonders strenge Vorgaben hinsichtlich der Legitimität der Schiedsrichter enthält. In seinem Fazit weist Wuschka dann darauf hin, wogegen sich die Kritik eigentlich richten sollte, nämlich nicht gegen die Institution der Schiedsgerichte an sich, sondern höchstens gegen die vertraglichen Grundlagen in den jeweiligen Abkommen, die mögliche Einschränkungen des politischen Handlungsspielraums erst verursachen.
Einem weiteren spannenden Thema widmet sich Patricia Wiater, die in ihrem Beitrag auf die Implikationen des Föderalismus in den TTIP-Verhandlungen eingeht. Föderale Funktionsweisen sind in diesen Verhandlungen durchaus bedeutsam, bedenkt man, dass dieser Vertrag zwischen einem Bundesstaat – den Vereinigten Staaten – und einem Staatenverbund – der EU, die ihrerseits aus zum Teil föderal verfassten Mitgliedstaaten besteht – verhandelt wird. Wiater weist sofort darauf hin, dass zum Zeitpunkt der Verhandlung die föderalen Untereinheiten praktisch nicht einbezogen werden. Für den Einzelfall der Bundesrepublik skizziert sie, welche Konflikte sich hierbei ergeben könnten. Zur besseren Erklärung verweist Wiater auf das Lindauer Abkommen, eine Übereinkunft zwischen Bund und Ländern aus dem Jahr 1957, in dem das Vorgehen für Situationen geklärt wird, in denen der Bund völkerrechtliche Verträge abschließt, deren Inhalt zum Teil die Gesetzgebungskompetenz der Länder berührt. In diesem Kontext betont sie, dass sich die Machtposition der föderalen Subeinheiten nach der jeweiligen Verhandlungsphase stark verändert: Sind föderale Subeinheiten während der Verhandlungen noch weitgehend außen vor, werden sie jedoch in der Ratifizierungsphase zu wichtigen Vetospielern, die mit einer Ablehnung eine vorläufige Einigung vollständig aushebeln können. Wiater stellt abschließend noch zwei Probleme fest: Es gibt zu den unterschiedlichen Auffassungen von Bund und Ländern zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge noch keine höchstrichterliche Klärung, und selbst wenn Länder einbezogen werden, geschieht dies fast nur über die Beteiligung der Landesregierungen unter Ausschluss der Landesparlamente; mehr Föderalismus bedeutet in diesem Fall also nicht zwingend mehr Demokratie. Als Fazit merkt Wiater schließlich an, dass in den Landesverfassungen geregelt werden sollte, auch die Landtage beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge gegebenenfalls miteinzubeziehen, wie dies bereits in den Verfassungen von Bayern und Baden-Württemberg vorgesehen ist. Dass diese Forderung keine politisch-theoretische Fingerübung ist, sondern auch tatsächliche Konsequenzen haben kann, zeigte unlängst die Verzögerung beim Abschluss der Verhandlungen des CETA-Abkommens, die erst nach einem positiven Votum des wallonischen und des Brüsseler Regionalparlamentes gelöst werden konnte.

Zuletzt sei noch auf den Beitrag von Corinna Dornacher verwiesen, die besonders die bislang geplante Regulierungskooperation unter TTIP dezidiert kritisch sieht. Sollte dieses Instrument nämlich rege – im Sinne einer „ständige[n], gegenseitige[n] Informationspflicht über geplante Regulierungsvorhaben“ (230) – genutzt werden, könnte dies dazu führen, dass im Abkommen vorgesehene Arbeitsgruppen ohne unmittelbare demokratische Legitimation die Gesetzgebung sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in der EU ganz erheblich vorbestimmen könnten. Wenn dies tatsächlich eintreten sollte, wäre für dieses Verfahren im aktuellen TTIP-Entwurf kein adäquater demokratischer Ausgleich vorgesehen. Und auch das Argument, dass ein solches Abkommen demokratische Legitimation durch parlamentarische Ratifikation erhalten würde, könnte in diesem Fall nicht mehr greifen, da TTIP dann eine zu starke Eigendynamik entwickeln würde. Der Sammelband besticht insgesamt durch die durchgehend hohe Qualität der Beiträge, die das Spannungsverhältnis von Freihandel und Demokratie umfassend beleuchten. Jeder und Jede, die sich mit den Auswirkungen des Freihandels auf demokratische Verfahren auseinandersetzen möchte, findet in „Freihandel vs. Demokratie“ einen kompakten, vielseitigen und verständlichen Überblick über dieses aktuelle Thema.

 

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38 Argumente gegen TTIP, CETA, TiSA & Co.

Hamburg: VSA 2015 (AttacBasis Texte); 94 S.; 7,- €; ISBN 978-3-89965-662-6
Gegen die seit einigen Jahren weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindenden Verhandlungen über die Wirtschafts‑ und Handelsabkommen der EU mit Kanada (CETA), den USA (TTIP) sowie mit 23 Staaten über den Handel mit Dienstleistungen (TiSA) regt sich ein breiter zivilgesellschaftlicher Protest, der inzwischen erste Wirkungen zeigt. Alle drei Verträge zielen auf eine verstärkte Deregulierung von Märkten. Dies sei aber nur das halbe Problem, schreibt Harald Klimenta, Referent und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von ...weiterlesen

 

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