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Das Ende einer Dreiecksbeziehung. Wehrtechnische Zusammenarbeit Chinas, Russlands und der Ukraine im Schatten der Krim-Krise

12.06.2017
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Dr. Sarah Kirchberger

Dong Feng 26

Militärparade in Beijing, 3. September 2015. Gezeigt wurde auch Dong Feng 26-Raktete. Foto: IceUnshattered (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dong-Feng_26.JPG: CC BY-SA 4.0)

 

Transnationale kooperative Waffenproduktion findet typischerweise im Rahmen langfristiger strategischer Allianzen statt. Diese werden zwischen militärisch-industriellen Akteuren, den entsprechenden Regierungen sowie den Beschaffungsbehörden in Kundenländern, die eine militärtechnologische Entwicklung anstreben, gebildet. Meistens sind die militärisch-industriellen Akteure staatliche oder teilweise staatliche Unternehmen in den technologisch hoch entwickelten Ländern. In vielen Fällen ist kooperative Rüstungsgüterproduktion in ein umfassendes System bilateraler Austauschbeziehungen eingebettet. Sie kann Teil einer größeren Kooperation sein, die auch zivile Technologietransfers wie zum Beispiel Kernkraftwerke, Verkehrsinfrastrukturen oder andere Arten von Großprojekten umfassen kann. In der Regel erfordert sie sogenannte Offsets (Gegengeschäfte) aus dem Geberland ins Kundenland, die nicht unbedingt mit Waffenproduktion im eigentlichen Sinn zusammenhängen müssen. Mitunter entstehen als Resultat solcher Partnerschaften sogar dauerhafte Infrastrukturen, etwa spezialisierte Instandhaltungseinrichtungen oder durch das Geberland betriebene Trainings- und Ausbildungsstätten. Häufig erzeugen solche Kooperationen langfristige Abhängigkeitsmuster zwischen den Empfängern und Gebern militärischer Hochtechnologien und sind daher eine Quelle strategischer Verwundbarkeit.

Die besonderen Charakteristika derartiger strategischer Allianzen sind ein bisher wenig beachteter Aspekt der Sicherheitspolitik. Dies ist verwunderlich, da diese Allianzen Transfers militärischer Hochtechnologie enthalten und die Beziehungen zwischen Staaten erheblich beeinflussen können. Generell werden technologische Entwicklungen und Produktionszusammenhänge in der Politikwissenschaft nicht ausreichend beachtet. Dies ist bedauerlich angesichts der „gravierenden Kausalwirkung“, die ein sich veränderndes Niveau der technologischen Innovationsfähigkeit eines Staates im internationalen System entfalten kann.

Die nachfolgende Analyse bemüht sich, eine industrielle Perspektive der Betrachtung einzunehmen, womit sie in die von Mayer et al. so bezeichneten „Assemblage-Ansätze“ innerhalb des Forschungsfeldes „Global Politics of Science and Technology“ fällt.

Die mangelnde Beachtung einer militärisch-industriellen Perspektive fällt auch bei Analysen der russischen Krim-Annexion von 2014 auf. Obwohl viele Beobachter die hohe strategische Bedeutung des von der Ukraine an Russland verpachteten Marinestützpunkts Sewastopol auf der Krim als möglichen geostrategischen Anreiz für die russische Invasion betonen, erwähnen nur wenige Analysen das darüber hinausgehende strategische Interesse Russlands an der Kontrolle über andere militärische und militärisch-industrielle Infrastrukturen auf der Halbinsel – darunter das einzige zu jener Zeit für Russland zugängliche Flugzeugträger-Pilotenausbildungszentrum NITKA.5

Ausgehend von ihrer Verbundenheit zu Sowjet-Zeiten hatten Russland und die Ukraine seit 1991 eine quasi-symbiotische Arbeitsteilung im Bereich der Waffentechnologie fortgesetzt. Mit der russischen Besetzung der Krim, in deren Folge Russland einige bedeutende ukrainische militärische Infrastrukturen beschlagnahmte, kam es 2014 zum Abbruch jeglicher kooperativen Waffenproduktion der beiden Länder. Der Zusammenbruch eines nahezu symbiotischen militärtechnischen Kooperationsregimes ermöglicht es der Forschung nun, strategische und wirtschaftliche Aspekte solcher Kooperationen näher zu beleuchten. Die Frage ist, welche Auswirkungen dieser Zusammenbruch auf die Entwicklung der betreffenden industriellen Infrastrukturen und Innovationssysteme beider Staaten in Zukunft haben wird.

Im Zentrum der Analyse stehen aber nicht nur die Ukraine und Russland, sondern auch China. Die Volksrepublik hatte Waffentechnik zunächst vorwiegend aus der Sowjetunion und später aus Russland importiert. Nach 1991 ging China zusätzlich eine engere Kooperation mit dem ukrainischen militärisch-industriellen Komplex ein, um einseitige Abhängigkeiten von Systemen und technischer Unterstützung aus Russland zu verringern. China ist somit von der gegenwärtigen Krise zwischen seinen beiden Hauptlieferanten militärischer Hochtechnologie indirekt betroffen.

Vor dem Hintergrund des westlichen Waffenembargos, das Chinas Auswahl an Kooperationspartnern seit 1989 erheblich einschränkt, und angesichts westlicher und ukrainischer Sanktionen gegen Russland seit der Krim-Krise ist die militärisch-industrielle Dreiecksbeziehung zwischen China, Russland und der Ukraine ein interessantes Beispiel für den Umgang mit strategischen Verwundbarkeiten in transnationalen militärtechnischen Kooperationen. Die folgende Analyse zielt darauf ab, die Auswirkungen der Krim-Annexion auf die militärtechnische Zusammenarbeit zwischen Russland, China und der Ukraine unter besonderer Beachtung der industriellen Perspektive zu erörtern.
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Sirius Cover Heft 1 2017Der vollständige Beitrag ist erschienen in SIRIUS – Zeitschrift für Strategische Analysen, Heft 2, Juni 2017: https://www.degruyter.com/view/j/sirius.2017.1.issue-2/issue-files/sirius.2017.1.issue-2.xml

 

 

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Literaturhinweis

Sarah Kirchberger
Assessing China's Naval Power. Technological Innovation, Economic Constraints, and Strategic Implications
Springer Verlag: Berlin, Heidelberg 2015


Aus der Annotierten Bibliografie


Toshi Yoshihara / James R. Holmes

Der rote Stern über dem Pazifik. Chinas Aufstieg als Seemacht – und wie antworten die USA

Hamburg/Berlin/Bonn: Verlag E. S. Mittler & Sohn GmbH 2011; XII, 258 S.; geb., 24,95 €; ISBN 978-3-8132-0929-7
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