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Frank Baasner / Stefan Seidendorf (Hrsg.)

Jeder für sich oder alle gemeinsam in Europa? Die Debatte über Identität, Wohlstand und die institutionellen Grundlagen der Union

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2013 (Denkart Europa 20); 224 S.; 30,- €; ISBN 978-3-8487-0017-2
Den Ausgangspunkt des Sammelbandes bildet die Beschreibung von territorial gebundenen Spannungen innerhalb einzelner EU‑Mitgliedstaaten, die „im Rahmen eines politischen Gemeinwesens“ (8) zur Disposition stehen, das seinerseits die Nationalstaaten infrage stellt. Dabei stellt Stefan Seidendorf in seiner klugen Einleitung fest, dass regionaler Separatismus in Europa „seit nahezu vierzig Jahren eine Rolle spielt“ (9). Bemerkenswert ist nur, dass es in der gegenwärtigen Krise diese verschiedenen Nationalismen und Regionalismen waren, die vor allem nationalstaatliche Krisenbekämpfungsstrategien zugunsten der heimischen Banken und Finanzdienstleister beförderten. Dies führte zu einem „doppelt negativen Ergebnis“. Zum einen kam es nicht zur „Erweiterung der gemeinschaftlichen Handlungsmöglichkeiten“ (13) und zum anderen litt die Effizienz und Langfristigkeit der Maßnahmen. Dieser Ausgangsbefund führt auch zur These des gesamten Bandes, dass „der Prozess der Europäisierung zur Einschränkung der politischen Handlungsfähigkeit von Nationalstaaten geführt“ hat, ohne dass „dem bis heute gleichwertige oder weitergehende politische Handlungsmöglichkeiten auf europäischer Ebene entsprechen würden“ (23). Der Band liefert deshalb durchaus wertvolle Hinweise, weil er verschiedene Stränge des europäischen Integrationsdiskurses – zumindest punktuell – zusammenführt. Neben der territorialen Dimension verweist er auf die Wechselwirkungen zwischen kulturellen, ökonomischen, sozialen und institutionellen Einzelaspekten des Integrationsprozesses. Nur in einer solchen Gesamtschau wird es – wie im Beitrag von Nicolas Hubé dargestellt – zu Recht möglich, „Europäisierung und Europaskepsis“ (143) als einen falschen Gegensatz zu interpretieren. Denn „Widerstände gegenüber Europa können ebenso [als] eine Forderung nach mehr Europa“ (167) oder einem anderen Europa interpretiert werden. Neben zwei Einzelfallstudien zur Rolle der Lega Nord in Italien sowie zum Unabhängigkeitsdiskurs in Katalonien sowie zwei entsprechenden Interviews, liefert auch Amandine Crespy mit ihrem diskursanalytischen Ansatz zur Analyse der Positionen Frankreichs und Deutschlands zur Frage der Staatsverschuldung in der Krise einen interessanten methodischen Zugang zur ganzen Problematik, der in ähnlichen Studien dieser Art vertieft werden sollte. Insgesamt liefert der Band also wichtige Anhaltspunkte, wie die Verkrustungen des integrationstheoretischen Europadiskurses aufgebrochen werden können, um endlich Abschied von der naiven Vorstellung eines beständig fortschreitenden Integrationsprozesses zu nehmen.
Henrik Scheller (HS)
Dr. phil., Dipl.-Politologe, wiss. Mitarbeiter, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl Politik und Regieren in Deutschland und Europa, Universität Potsdam.
Rubrizierung: 3.1 | 3.3 | 3.5 | 3.6 | 2.61 | 2.22 Empfohlene Zitierweise: Henrik Scheller, Rezension zu: Frank Baasner / Stefan Seidendorf (Hrsg.): Jeder für sich oder alle gemeinsam in Europa? Baden-Baden: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36023-jeder-fuer-sich-oder-alle-gemeinsam-in-europa_43465, veröffentlicht am 01.08.2013. Buch-Nr.: 43465 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken