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Julia Schulze Wessel

Ideologie der Sachlichkeit. Hannah Arendts politische Theorie des Antisemitismus

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2006 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1796); 248 S.; 10,- €; ISBN 978-3-518-29396-6
Seit den 90er-Jahren gibt es nicht nur in den Sozialwissenschaften eine breite Rezeption der Schriften Arendts. Das Interesse richtet sich dabei zumeist auf ihre Arbeiten zur politischen Theorie – eher am Rande werden ihre Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus behandelt. Aber gerade mit Blick auf Arendts Bemühungen, den Antisemitismus theoretisch zu deuten, zeichnet sich vor allem bei Historikern ein Verständnis ab, das – so Schulze Wessel – Inkonsistenzen zwischen Arendts Bericht über den Eichmann-Prozess und ihrer früher publizierten Studie über „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ betont. Arendt habe – so lautet vielfach der Einwand – mit ihrem Porträt Eichmanns als nahezu subjektlosem Befehlsempfänger eigentlich eine fahrlässige Vereinfachung vorgenommen, die die persönlich zurechenbare Schuld des Täters mit der Formel der Banalität des Bösen nivelliert. Gegen diese Deutung setzt die Autorin mit guten Argumenten die These, dass Arendt Überlegungen aus den „Elementen“ in ihrem Bericht über den Prozess in Jerusalem weiter entwickelt und radikalisiert habe. Der interne Zusammenhang zwischen beiden Werken erschließe sich nämlich, wenn man Arendts politische Theorie des Antisemitismus als Diagnose einer umfassenden Krise der Moderne liest, die durch eine zunehmende verwaltungstechnische Zurichtung die Autonomie der Subjekte zerstört und damit die Voraussetzungen für die totalitäre Verfolgung der Juden schafft. Konzeptionell orientiert sich die Studie an Kosellecks Überlegungen zur Begriffsgeschichte und neueren Ansätzen der von Skinner und Pocock initiierten Cambridge School, die die Interpretation politischer Begriffe primär auf dem Wege einer Kontextualisierung ihrer Bedeutungen betreibt. Bei ihrer Analyse hat die Autorin auch umfangreiches unveröffentlichtes Material des Hannah Arendt-Archivs der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg herangezogen.
Thomas Mirbach (MIR)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.46 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Julia Schulze Wessel: Ideologie der Sachlichkeit. Frankfurt a. M.: 2006, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/26528-ideologie-der-sachlichkeit_30920, veröffentlicht am 25.06.2007. Buch-Nr.: 30920 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken