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Fritz R. Glunkv: Schattenmächte. Wie transnationale Netzwerke die Regeln unserer Welt bestimmen

20.04.2018
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Autorenprofil
Martin Repohl, M.A.
München, dtv Verlagsgesellschaft 2017

Transnationale Netzwerke sind ein so schwieriges wie allgegenwärtiges Phänomen der aktuellen politischen Konstitution – sowohl auf nationalstaatlicher wie auf internationaler Ebene. Die exakte Definition von transnationalen Netzwerken stellt dabei die politikwissenschaftliche Begriffsbildung vor große Herausforderungen, denn einem solchen Netzwerk können teils sehr unterschiedliche und nur lose verbundene Akteure angehören, die sich selbst meistens als Körperschaft oder Forum bezeichnen. Sie werden nur selten von der Öffentlichkeit wahrgenommen, doch ihre regulatorische Tätigkeit hat entscheidenden Einfluss auf die politische und ökonomische Lage aller Staaten. Prominente Beispiele solcher Netzwerke sind etwa die großen Zusammenschlüsse wie die G20, die OECD oder die APEC, einflussreiche regulatorische Zusammenschlüsse wie die IASB (International Accounting Standard Board), SAC (Standard Advisory Council) oder ICH (International Council for Harmonisation) und international wirksame Regulationsregime wie die Finanzmarktregulation Basel III. Viele dieser Ausschüsse sind ihrerseits wiederum Teil eines weiteren Zusammenschlusses. Daher ist ihre genaue Anzahl – selbst in der EU – nicht näher bekannt und wird ungefähr auf weltweit 2.000 geschätzt. Die Beschäftigung mit diesen undurchsichtigen Organisationen erinnert dabei an das Problem aus Franz Kafkas Schloss: Obwohl ihre Existenz und ihr Einfluss offensichtlich sind, entziehen sie sich dennoch einer näheren Bestimmung.

Der Journalist, Übersetzer und Politiker Fritz R. Glunk geht in seinem Buch „Schattenmächte – Wie transnationale Netzwerke die Regeln unserer Welt bestimmen“ diesem Problem nach und gibt interessante Einblicke in ihre Struktur und Arbeitsweise. Der Autor setzt damit seine kritische Beschäftigung mit diesem Thema fort, die er bereits 1998 mit seinem Buch über das Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI) begonnen hat. Glunk legt dabei seinen Fokus auf das Spannungsverhältnis zwischen Staatlichkeit, welche zunehmend in transnationale Netzwerke eingebunden ist, und der defizitären demokratischen Legitimation ihrer Verhandlungsergebnisse. Dieses Spannungsverhältnis wird von dem Soziologen Stefan Lessenich in seinem Vorwort auf den Punkt gebracht: So ist die politikwissenschaftliche Diagnose vom Rückzug und der Krise des Staates im Kontext der Globalisierung nicht zutreffend, da gleichzeitig dieser vermeintlich krisenhafte Staat in der Lage war, einschneidende Reformagenden und Sozialstaatsumbauten voranzutreiben. Es stellt sich also die Frage, worin eigentlich dieser Wandel von Staatlichkeit besteht. Sowohl Glunk als auch Lessenich sind sich in ihrer Diagnose einig, dass es sich bei der Ausbreitung dieser Netzwerke um einen erfolgreichen Versuch der Ökonomie handelt, ihre eigenen Regelwerke durchzusetzen und sich so allzu weitreichender staatlicher Regulierung zu entziehen. Den Nationalstaaten kommt dabei eine Doppelrolle zu: Zum einen profitieren Regierungen von der vereinheitlichten Regulation komplexer Rechtsgebiete, zum anderen sind es aber gerade diese Regierungen, die durch ihre Beteiligung und Übernahme solcher informell entstandenen Regelsysteme diesen Legitimität zusprechen – und damit ihre eigene demokratische Legitimation infrage stellen. Denn viele dieser Regelsysteme werden oftmals an den Parlamenten vorbei oder in begrenzter Beteiligung dieser in geltendes Recht gesetzt. Die demokratischen Defizite dieser Praxis traten besonders in der öffentlichen Diskussion um die Abkommen TTIP und CETA offen zutage.

Dabei ist nicht nur das offensichtliche Demokratiedefizit problematisch, sondern auch die Selbstpositionierung der Exekutive in diesem Spannungsverhältnis. Glunk schreibt: „Die Forderung nach dem Primat der Politik vor der Ökonomie, nach einer anderen, einer demokratischen Gewichtsverteilung zwischen Staat und Markt ist wirklichkeitsfremd. Um es ganz unmissverständlich zu sagen: Es gibt keinen Widerspruch oder Gegensatz zwischen der Exekutive und der Wirtschaft, und es kann keinen geben. In den ‚bodies‘ und deren transnationalen Regimen konnten wir eine harmonische Zusammenarbeit, ja eine Symbiose von privaten Normgebern und staatlichen Behörden beobachten. Erstere lassen sich ihre möglichst weiten Freiräume bestätigen, Letztere profitieren von der Wirtschaftsleistung in ihrem Bereich.“ (126) Es besteht also eine Konvergenz zwischen beiden Bereichen, deren demokratisches Legitimationsdefizit solange nicht durchbricht, wie ihre Symbiose ökonomischen Wohlstand erzeugen kann.

Der Autor gibt mit seinem Buch einen kenntnisreichen und präzisen Überblick über dieses komplexe Thema und verortet dessen Entwicklung vor dem Hintergrund der aktuellen rechts- und politikwissenschaftlichen Debatte. Dabei gelingt es ihm, einen zugleich leicht verständlichen und nachvollziehbaren Überblick zu geben, was „Schattenmächte“ auch außerhalb der Politikwissenschaft zu einem lesenswerten und informativen Einführungswerk macht. Gleichzeitig legt Glunk aber auch von Beginn an seine kritische Haltung offen und formuliert mit seiner Diagnose eine zielsichere Kritik am Demokratiedefizit dieser Netzwerke und der schleichenden Legitimationsdiffusion zulasten nationaler Parlamente. In Reaktion darauf gibt der Autor zudem Antworten auf die Frage, wie dieser Entdemokratisierung entgegengewirkt werden kann. Er zeigt, dass es auch auf transnationaler Ebene demokratische Zusammenschlüsse wie die IPU (Interparlamentarische Union) oder die UCLG (United Cities and Local Governments) gibt, deren Stärkung ein transnationales und demokratisches Gegengewicht bilden könnte.


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Rechtswiss. Diss. Potsdam; Gutachter: E. Klein, S. Schmahl. - Lässt sich die internationale Politik demokratisieren? Welche Rolle können dabei traditionelle Formen der parlamentarischen Repräsentation spielen? Diese Fragen stellen den Hintergrund dar, vor dem die Autorin ihre Studie zur Interparlamentarischen Union (IPU) vorlegt. Die IPU wurde 1889 als erste politische internationale Organisation von Parlamentariern gegründet, spielte in der Zwischenkriegszeit eine beachtliche Rolle in der Weltp...weiterlesen

 

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