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Lars Holtkamp: Der Parteienstreit. Probleme und Reformen der Parteiendemokratie

03.12.2018
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Autorenprofil
Daniel Hellmann
Baden-Baden, Nomos Verlag 2018

Wohin entwickelt sich die deutsche Parteiendemokratie? Erzeugt die von den Parteien getragene repräsentative Demokratie noch ausreichend effiziente und hinreichend legitimierte Politikergebnisse, um „opulente Parteienfinanzierung und Patronage“ (107) zu rechtfertigen? Das Narrativ in Lars Holtkamps Buch „Der Parteienstreit“ ist eindeutig: Während die überwältigende Mehrheit der deutschen Parteienwissenschaft mit dem Status quo zufrieden ist, erweist sich der Zustand der Parteiendemokratie als desaströs. Nur einige wenige widersetzen sich dem Mainstream und wagen es, Kritik zu äußern – sehr prominent etwa immer wieder Hans-Herbert von Arnim. Wer sich parteienkritisch äußert, muss gar mit verminderten Karrierechancen rechnen (13, zitiert von Arnim). Regt sich dennoch Kritik seitens einzelner Autor*innen, so sind dies vereinzelte Momente mutiger Erkenntnis („wie es Parteienforscher ungewöhnlich markant ausdrücken“, 61). Zumeist wird allerdings jede Parteienkritik als demokratiegefährdend gebrandmarkt.

Jenseits dieses fragwürdigen Narrativs ist das Ziel, ein für die nicht-fachwissenschaftliche Öffentlichkeit leicht zugängliches und gut lesbares Buch zu schreiben, das den Zustand der Parteiendemokratie kritisch beleuchtet, positiv zu bewerten. Auf knappen 130 Seiten werden die rechts-konservative Parteienkritik von Arnims und die linke Postdemokratie-Debatte durch Colin Crouch gegen die „Mehrheitsmeinung der traditionellen Parteienwissenschaft“ in Stellung gebracht. Vor allem von Arnims Kritik ist prominent platziert und wird als Lösungsmöglichkeit diskutiert. Seine Problemanalyse wird weitgehend kritiklos übernommen, lediglich sein Ton stößt auf Kritik: „Insgesamt ist damit der inhaltliche Kern der Kritik (nicht aber die teilweise polemischen Äußerungen) von Hans Herbert von Arnim an der bundesdeutschen Parteiendemokratie […] berechtigt“ (107).

Als Grundlage für die empirische Kritik des Zustands der Parteiendemokratie wird ein parteipolitischer Repräsentationszyklus entworfen, der fünf Phasen umfasst: 1. die starke Verankerung der Parteien in der Gesellschaft, 2. die starke Mitwirkung der Mitglieder der Parteien an der innerparteilichen Entscheidungsfindung, 3. der ausgeprägte inhaltliche Wettbewerb zwischen den Parteien, 4. die Umsetzung in Regierungsentscheidungen und 5. der reibungslose hierarchische Vollzug von Verwaltungshandeln (20). In allen fünf Phasen identifiziert Holtkamp Schwächen und Dysfunktionalitäten: Die gesellschaftliche Verankerung der Parteien nimmt ab. Statt dem entgegenzuwirken und Mitglieder zu werben, führen die Parteiapparate ein selbstbezogenes Eigenleben. Innerparteiliche Demokratie verkommt oft zur Farce, die durch die Parteiführung gesteuert wird. Im Parteienwettbewerb herrscht kein Wettkampf um die besten Lösungen, sondern ein Kartell, das infolge zurückgehender Mitgliederzahlen zunehmend auf staatliche Finanzierung und Ämterpatronage zum allseitigen Vorteil angewiesen ist. Regierungsentscheidungen finden mehr unter dem Einfluss von Lobbygruppen als durch Wähler und Mitglieder bestimmt statt. Die Umsetzung von Entscheidungen, wie zuletzt bei der sogenannten Flüchtlingskrise, weist auf die Steuerungsunfähigkeit der Regierung hin. Die Folge, so führt Holtkamp weiter aus, ist eine Spirale aus Verunsicherung und Ablehnung der Parteiendemokratie.

Aus dem Anspruch, ein breites Themenspektrum anschaulich und auf nur relativ wenigen Seiten darzustellen, ergibt sich eine mangelhafte Anbindung an eine breite Empirie. Unzureichend legitimierte Regierungsentscheidungen und Verwaltungsversagen werden schlaglichtartig am Beispiel der Flüchtlingszuwanderung erklärt, die Kartellbildung der Parteien mit kommunalen Vergabe-Skandalen in Nordrhein-Westfalen illustriert. So entsteht der Eindruck einer vollkommen desolaten Situation, die jedoch der Realität nicht gerecht wird. Diese Betrachtung von Problemen ist zwar absolut legitim, jedoch zeichnet sie nur dann ein realistisches Bild, wenn sie auch berücksichtigt, was Parteien tatsächlich leisten. So wird etwa die Aufstellung von Kandidat*innen zu Wahlen mit dem Verweis auf mangelnde Zugangsmöglichkeiten seitens der Politikwissenschaft abgetan (47), was unter anderem das Forschungsprojekt über die Kandidatenaufstellung zur Bundestagswahl 2017 des Instituts für Parlamentarismusforschung (IParl) widerlegt.

Bei der Bewertung möglicher Lösungsmöglichkeiten orientiert sich Holtkamp wie bereits erwähnt stark an von Arnim. Während er in dessen Vorschlag zur Einführung direktdemokratischer Elemente, wie etwa der Direktwahl von Ministerpräsidenten, keine Lösung sieht, stimmt er der Änderung des Wahlrechts durch Kumulieren und Panaschieren sowie kooperativen-dialogischen Formen der Einbeziehung von Bürgern durchaus zu.

Holtkamp kritisiert in diesem Buch zum einen die Parteien und zum anderen die ‚traditionelle‘ Parteienwissenschaft, die die Parteien wiederum zu wenig kritisierten. Bei aller berechtigten Kritik, die er äußert und die auch in der Parteienwissenschaft Beachtung finden muss, gehört es ebenso dazu, die Leistungen zu betonen, die Parteien erbringen, und Zusammenhänge zu erklären. Die überwältigende Mehrheit der deutschen Parteienwissenschaftler*innen tut dies. Die Realität der deutschen Parteiendemokratie ist, wenn auch nicht rosig, besser als es nach der Lektüre von Holtkamps Buch erscheint.

 

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