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Rezension / 26.01.2022

Gisela Müller-Brandeck-Bocquet (Hrsg.): Deutsche Europapolitik. Von Adenauer bis Merkel

Wiesbaden, Springer VS 2021

In dem von Gisela Müller-Brandeck-Bocquet edierten Band werden die Entwicklungsphasen der deutschen Europapolitik entlang von Leitfragen dargestellt. Das gewählte Konzept sei insofern spannend, als sowohl ein historisch kenntnis- und einsichtsreicher Abriss einzelner Etappen der deutschen Europapolitik geliefert und Kontinuitäten respektive Wandel aufgezeigt werden, schreibt Rezensent Andreas Grimmel. Dabei zeige sich, wie sehr das Fortbestehen und die Weiterentwicklung der EU auch von den Bemühungen der Mitgliedstaaten geprägt werde. Für das Verständnis des komplexen Integrationsprozesses sei der Band nach Meinung von Grimmel „Pflichtlektüre“. 

Europapolitik ist seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) von zentraler Bedeutung für das innen- wie auch außenpolitische Handeln der Bundesrepublik Deutschland. Dies gilt umso mehr, als heute fast sämtliche Politikbereiche mehr oder weniger entscheidend durch die Europäische Union geprägt werden, sodass ein wesentlicher Teil der deutschen Politik tatsächlich Europapolitik ist. Diesem Umstand widmet sich der von Gisela Müller-Brandeck-Bocquet herausgegebene Band „Deutsche Europapolitik: Von Adenauer bis Merkel“, der inzwischen in einer dritten und aktualisierten Auflage erschienen ist.

Die einzelnen Entwicklungsetappen der deutschen Europapolitik werden hierbei in insgesamt fünf umfangreichen Kapiteln in einen engen Zusammenhang mit den einzelnen Bundesregierungen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gestellt. So widmet sich Corina Schukraft-Wadle in einem ersten Abschnitt des Bandes den Anfängen der deutschen Europapolitik unter den Regierungen Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger. Nicole Stadtmüller beschreibt die Kanzlerschaften von Willy Brandt und Helmut Schmidt, bevor Ulrike Kessler die europapolitisch wichtigen Weichenstellungen der Regierung unter Helmut Kohl in den Blick nimmt. Gisela Müller-Brandeck-Bocquet widmet sich sodann in zwei weiteren Kapiteln Gerhard Schröder und der rot-grünen Bundesregierung sowie der sechzehnjährigen Kanzlerschaft von Angela Merkel.

Hierbei werden jeweils drei Leitfragen in den Mittelpunkt gestellt, die das Erkenntnisinteresse der jeweiligen Kapitel leiten und die an dieser Stelle kurz wiedergegeben seien: „Welchen Beitrag hat Deutschland unter der jeweiligen Kanzlerschaft zum Ausbau, zur Vertiefung und Erweiterung sowie zur Handlungs- und Überlebensfähigkeit des Integrationsprojektes geleistet? Inwieweit entspricht das europapolitische Engagement der Bundesrepublik den nationalen Interessen, die sich im Zeitverlauf deutlich verändert und ausgedehnt haben? Inwieweit ist die insgesamt als europa- und integrationsfreundlich einzustufende deutsche Europapolitik von Kontinuität und/oder Wandel geprägt?“ (VI)

Der Band verfolgt auch in seiner aktualisierten Neuauflage ein überaus spannendes Konzept, insofern er nämlich sowohl einen historisch kenntnis- und einsichtsreichen Abriss einzelner Etappen der deutschen Europapolitik liefert und insofern Kontinuitäten und Wandel in diesem wichtigen Bereich herausarbeitet, zugleich aber auch eine anschauliche Geschichte der EU – vermittelt durch eine mitgliedstaatliche Perspektive – zeichnet. Gerade mit Blick auf die Gestalt der heutigen EU und für ein umfassendes Verständnis ihrer spezifischen politisch-ökonomischen sowie rechtlichen Ausgestaltung ist eine entsprechende Kenntnis der Anfangsgründe, aber auch der wechselhaften Motive, die mit der Fortentwicklung der EU und ihrer Vorläufer verbunden wurden, entscheidend. Zugleich wird ein zentrales Element des europäischen Integrationsprozesses anschaulich herausgearbeitet, das gerade auch in der mitgliedstaatlichen Politik, jedoch ebenfalls in Teilen der theoriegeleiteten politikwissenschaftlichen Beschäftigung mit der EU zuweilen ausgeblendet wird: nämlich, dass das Fortbestehen und die Weiterentwicklung der europäischen Integration keinesfalls Selbstläufer sind, sondern viel eher von dem aktiven Gestaltungswillen der die EU konstituierenden Akteure und Institutionen abhängen, also insbesondere auch den Bemühungen der Mitgliedstaaten und ihrer Bürger*innen.

Der von Gisela Müller-Brandeck-Bocquet herausgegebene Band hat also nichts an Aktualität verloren, sondern ist – ganz im Gegenteil – vor dem Hintergrund der derzeitigen Herausforderungen im Kontext der Europäischen Union, eine Pflichtlektüre, um die vielgestaltigen und teilweise unübersichtlichen Integrations-, aber auch Desintegrationsprozesse im Kontext aktueller, aber auch historischer Entscheidungen und Weichenstellungen, angemessen verstehen zu können. Er lässt sich aber insofern auch – und die Herausgeberin macht dies in ihrer Schlussbemerkung durchaus deutlich – als ein Plädoyer für eine engagierte und aktive Weiterentwicklung der Europäischen Union begreifen.

 

CC-BY-NC-SA
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