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Rezension / 14.03.2017

Karin Böttger / Mathias Jopp (Hrsg.): Handbuch zur deutschen Europapolitik

Baden-Baden, Nomos 2016

Die Europäische Union beeinflusst mittlerweile weite Teile des politischen Alltags, auch in Deutschland. Dies wurde in jüngster Zeit besonders bei den Migrationsbewegungen und der Eurokrise offensichtlich, zeigt sich aber auch an fortlaufenden gemeinsamen Herausforderungen in Bereichen wie der Energie-, Handels- und Sicherheitspolitik. Katrin Böttger und Mathias Jopp verfolgen mit ihrem Handbuch das explizite Ziel, „in Zeiten wachsender Europaskepsis“ (13) die Bedeutung der europäischen Integration für Deutschland herauszuarbeiten.

Die Europäische Union beeinflusst mittlerweile weite Teile des politischen Alltags, auch in Deutschland. Dies wurde in jüngster Zeit besonders bei den Migrationsbewegungen und der Eurokrise offensichtlich, zeigt sich aber auch an fortlaufenden gemeinsamen Herausforderungen in Bereichen wie der Energie-, Handels- und Sicherheitspolitik. Katrin Böttger und Mathias Jopp verfolgen mit ihrem Handbuch das explizite Ziel, „in Zeiten wachsender Europaskepsis“ (13) die Bedeutung der europäischen Integration für Deutschland herauszuarbeiten. Dabei wählen sie eine sehr umfassende Herangehensweise und betonen, dass ein Kompendium von Analysen in vielen unterschiedlichen Politikbereichen bisher noch nicht vorgelegen hat, weshalb sie diese Lücke mit dem Buch füllen wollen. Schon der erste Blick ins Inhaltsverzeichnis bestätigt diesen Anspruch – in mehr als 30 Fachartikeln bietet die Publikation einen facettenreichen Einblick in ausgewählte europäische Politikfelder und ihre Bedeutung für die Bundesrepublik.

In einem der ersten Artikel schildert Christian Dreger ganz grundlegend die wirtschaftlichen Auswirkungen der EU-Mitgliedschaft für Deutschland. Dabei stellt er zunächst klar, dass Deutschland von allen Mitgliedstaaten mit am stärksten von der Europäischen Union profitiert, insbesondere aufgrund des Binnenmarktes, in dem sich zwei Drittel der eigenen Handelsaktivitäten abspielen. Dreger versäumt es jedoch auch nicht, auf Probleme hinzuweisen, und konstatiert, dass sich das allgemeine Wohlstandsgefälle innerhalb des Binnenmarktes vor allem infolge der Osterweiterung erhöht hat. Zudem hat die Eurokrise die Divergenzen in den Konjunkturen zwischen den Mitgliedstaaten verstärkt.

Ausgehend von den grundlegenden Überlegungen zu den Leitlinien deutscher Europapolitik findet sich auch eine sorgfältige institutionelle Einordnung der Europapolitik in Deutschland. So schildert Gabriele Abels in ihrem Beitrag ausführlich, wie sich der Bundestag im Laufe der Jahrzehnte zu einem bedeutenden Mitspieler entwickelt hat. Während er über viele Jahre zunächst eher ein passiver Begleiter in der Europapolitik war, ergab sich auch durch die im Lissabon-Vertrag vorgesehene Stärkung der nationalen Parlamente für ihn eine intensivere Beteiligung. Parallel dazu hat er auch ein gewisses Selbstbewusstsein erlangt und pocht gegenüber der Bundesregierung auf Mitsprache. Ferner schildert Abels, wie der Bundestag in den zurückliegenden Jahren immer stärker europapolitische Expertise entwickelt hat – durch einen besonderen Fachausschuss und auch durch den regen Austausch mit den europäischen Organen sowie den Parlamenten der anderen Mitgliedstaaten.

Christian Calliess befasst sich mit einem anderen zentralen Akteur, dem Bundesverfassungsgericht: Das höchste deutsche Gericht ist sich grundsätzlich der integrationsfreundlichen Ausrichtung des Grundgesetzes bewusst, hat mit der Zeit jedoch mehrere Kontrollvorbehalte formuliert, gerade hinsichtlich möglicher Kompetenzüberschreibungen seitens der europäischen Organe. Mithilfe einer Analyse verschiedener Grundsatzurteile rekonstruiert Calliess gut nachvollziehbar, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Europarechtsprechung eine zwar selbstbewusste, aber durchaus kompromissbereite Position entwickelt hat. Würdigung findet auch das Wechselspiel zwischen Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof – neben dem vom Bundesverfassungsgericht selbst diagnostizierten Staatenverbund gibt es somit nun auch einen „Verfassungsgerichtsverbund“ (169).

Der fachpolitische Teil des Buches, in dem die wesentlichen Elemente deutscher Politik in den internen Politikbereichen dargelegt werden, ist ebenfalls gut ausgebaut, wie etwa der Beitrag von Henrik Enderlein, Katharina Gnath und Jörg Haas zur Wirtschafts- und Währungsunion zeigt. In erfreulicher Klarheit benennen sie die wichtigsten Auslöser für die Eurokrise und erklären, welche Schritte zur Lösung in der Zwischenzeit unternommen wurden und welche Probleme dabei noch ungeklärt sind. Interessant ist, wie das Autorentrio aufzeigt, dass die deutsche Position in Fragen der gemeinsamen Währung durchaus pragmatisch angepasst wurde, in diesem Zusammenhang hat Deutschland in Teilen seine Fixierung auf Schulden und Defizite überwunden und „einem umfassenderen Stabilitätsbegriff zugestimmt“ (259).

Die Grundlinien bundesrepublikanischer Politik in den externen Politikbereichen werden im Band ebenfalls ausführlich behandelt, so beispielsweise im Beitrag von Katrin Böttger über das Verhältnis der EU zu Russland. Die Mitherausgeberin schildert darin, dass Deutschland in dieser Beziehung nicht zuletzt aus geschichtlichen Gründen eine besondere Rolle spielt. So war es nach dem Umbruch in Mittel- und Osteuropa besonders stark an einer Einbindung der dortigen postsowjetischen Staaten interessiert und trieb diese auch maßgeblich mit voran. In jüngster Zeit überwiegen in diesem Verhältnis jedoch eher die Spannungen, gerade insbesondere aufgrund der russischen Annexion der Krim, wobei Böttger auch herausstellt, dass in der Reaktion auf diese Spannungen die gemeinschaftlichen Institutionen der Außenpolitik gegenüber den einzelnen Regierungen – auch der deutschen – eher ins Hintertreffen geraten sind.

Im Blickpunkt des letzten Abschnitts des Bandes stehen ausgewählte bilaterale Beziehungen innerhalb der EU, wobei sich Ulrich Krotz und Joachim Schild dem klassischen deutsch-französischen Integrationstandem widmen. Sie schildern, in welch ungewöhnlich hohem Maße diese beiden Staaten in ihrer „entente élémentaire“ (435) einen ständigen Austausch pflegen, weit über die Mechanismen der Europäischen Union hinaus. Entlang bedeutender Paarungen wie Schmidt/Giscard d’Estaing, Kohl/Mitterrand und Merkel/Sarkozy wird deutlich, dass Deutschland und Frankreich alle bedeutenden Integrationsschritte bis in die jüngste Zeit mitgetragen haben. Die Autoren erwähnen aber auch, dass von einem Gleichgewicht der beiden Partner seit Kurzem nicht mehr gesprochen werden kann, was zu Abstimmungsproblemen führen könnte.

Die einzelnen Beiträge des Bandes stehen insgesamt vergleichsweise separat nebeneinander und sind, abgesehen von den thematischen Überpunkten, kaum miteinander verbunden, was die Qualität des Buches jedoch keineswegs mindert. Aufgrund der überzeugenden Artikel können auch fachfremde interessierte Leser*innen wichtige Kenntnisse über die Position Deutschlands in der Europäischen Union, die Konzepte deutscher Europapolitik sowie ihrer innenpolitischen Bestimmungsfaktoren und Akteure beziehen. Durch die handwerklich solide Unterfütterung mit Literaturverzeichnis, Sach- und Personenregister stellt das Buch ebenso ein wertvolles Werkzeug für Wissenschaftler*innen und andere Fachleute dar.

 

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