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Rezension / 09.04.2024

James W. Peterson, Jacek Lubecki: Globalization, Nationalism and Imperialism. A New History of Eastern Europe

Budapest, Central European University Press 2023

Nicht weniger als “A New History of Eastern Europe” versprechen die Autoren dieser Monografie, in der sie mit ausgesuchten politikwissenschaftlichen Theorien zu neuen Perspektiven auf die Verkettungen von Globalisierung, Nationalismus und Imperialismus in der Region gelangen möchten. Ein Anspruch, der leider aus diversen Gründen – u. a. beklagt unsere Rezensentin ein Defizit an Differenzierungen, eine „zeitliche[n] Raffung von Ereignissen“ oder schwache Nachweisführung – untergehe: Es gelinge nicht, die gewählten Theorien nachvollziehbar mit den Kapitelinhalten zu verknüpfen, so die Buchkritik.

“A New History of Eastern Europe” verspricht der Titel der im vergangenen Jahr erschienen Monografie von James W. Peterson und Jacek Lubecki. Ein ambitioniertes Vorhaben, betrachtet man den Umfang von nur etwa 150 Seiten Fließtext. Zudem sind beide an Departments for Political Science an der Valdosta State University und der Georgia Southern University tätig und nicht primär Historiker.

Dies muss nicht immer ein Indiz für eine wenig zum historischen Diskurs beitragende Arbeit sein, lebt die moderne Geschichtswissenschaft doch mit von interdisziplinären Impulsen. In der Tat möchten die Autoren durch die Anwendung politikwissenschaftlicher Theorien (legacy theory, divergence and convergence theory, domestic policy formation, realist theory) neue Blickwinkel auf die Verflechtungen der Konzepte der Globalisierung, des Nationalismus und des Imperialismus in Bezug auf Osteuropa ermöglichen (9 ff.); Muster und Logiken der „long-term dialectics“ sollen zugunsten eines „erweiterten historischen und konzeptuell informierten Kontextes“ herausgearbeitet werden (4). Zeitlich bewegen sich die Autoren in einem Rahmen vom 19. Jahrhundert bis zur COVID-19-Pandemie, räumlich wird das Territorium zwischen den heutigen Staaten des Baltikums, des Balkans, von Polen bis zur russischen Grenze abgedeckt. Russland selbst wird in der Regel außen vor gelassen; eine klare, begründete Arbeitsdefinition von „Eastern Europe“ hierzu hätte nicht geschadet. Lediglich im Kapitel zu „Domestic and Global Security Challenges“ wird hier ein etwa zehnseitiger Exkurs in das komplexe Thema des Krieges in der Ukraine unternommen.
Nach der Einleitung folgen mit dem zweiten Kapitel „Dialectics of Globalization: Empires and Nationalism“ gute 50 Seiten – also etwa ein Drittel des gesamten Textvolumens des Buches – einer deskriptiven, temporär linearen Abhandlung der Geschichte der betrachteten Regionen in Autorenschaft Lubeckis. In diesen werden die titelgebenden Konzepte angerissen, wobei die geografischen Sprünge jedoch insbesondere für Leser*innen, die wenig Vorwissen mitbringen, sicherlich herausfordernd sein mögen. Neben dem wegen der Länge des Kapitels zu erwartenden Mangel an tiefgreifenden Differenzierungen ethnischer und politischer Gruppierungen und der Raffung von Ereignissen (beispielsweise in Referenz zur Zwischenkriegszeit in Polen: „Germans in the western part of the country, supported by their co-nationals in Germany, sought revenge and, later, a total destruction of Poland“, 37), welcher mit dem Anspruch des „erweiterten historischen und konzeptuell informierten Kontextes“ kaum vereinbar scheint, ist die auffällige Abwesenheit von Verweisen auf Quellen oder Sekundärliteratur über weite Strecken eine eklatante Schwäche im Anspruch an eine gute wissenschaftliche Arbeit.

Im dritten Kapitel „Liberalism and Anti-Liberalism“, welches sich mit der postsowjetischen Periode beschäftigt, gibt es diesbezüglich wenig Besserung zu vermerken. Mit großen Sprüngen durch den Raum schneidet der Autor oberflächlich liberale wie antiliberale Parteien und politische Bewegungen an. Zwar bemüht Lubecki hier tabellarisch aufgearbeitete Statistiken zur Veranschaulichung (81 ff.), jedoch gibt es auch hier streckenweise keine klaren Nachweise oder Zitate. Der deskriptive Charakter des zweiten Kapitels wird hier fortgeführt: Wenngleich mit erhobenen Zahlen aus Studien gearbeitet wird, so fehlt hier die in der Einleitung angekündigte theoretische Kontextualisierung. Vielmehr fühlt es sich an, als läse man eine der eigentlichen Arbeit vorangestellte, im Verhältnis zum Gesamttextvolumen überproportional lange und gelegentlich redundante Vorlesungsmitschrift.

Ab Seite 93 übernimmt James W. Peterson die Autorenschaft für die kommenden vier Kapitel, die folglich insgesamt nur etwas mehr als ein Drittel des Buches ausmachen. In „Ethnic Challenges from Within and Without“ geht es um staatsinterne ethnische Konflikte und Migrationsdruck von außen, etwa durch Geflüchtete, „Domestic and Global Security Challenges“ widmet sich Terrorismus und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine seit der Annexion der Krim 2014 und „The Cloud of COVID-19 as a Global Pressure on the Region and Its Individual States, 2020 and After“ der Pandemie. Trotz der kürzeren Ausführungen liest sich der Text geringfügig tiefgängiger und weniger redundant, doch leider wird die grundliegende Problemantik der unterkomplexen Darstellung auf wenigen Seiten damit nicht ausgeräumt.

Mit dem Wechsel des Autors ändert sich ebenfalls die kapitelinterne Struktur: Nach zwei bis vier Subkapiteln, die teils Zwischenfazite haben, wird eine „Theoretical Conclusion“ ergänzt. Dies ist zweifelsfrei eine Verbesserung der Leser*innenführung, wird hier doch letztlich der in den ersten Kapiteln lose Faden der theoretischen Perspektivierung aufgegriffen. Noch hilfreicher zur Unterstreichung der eigentlichen Zielsetzung des Buches wäre die dicht verknüpfte Erläuterung der ausgewählten Theorien am Material innerhalb der entsprechenden Kapitel gewesen – leider erschöpft sich dieser Impuls in den Schlussfolgerungen, und auch dort wirkt es eher wie eine Anregung als ein schlüssig zusammengeführtes Ergebnis. In der Manier „Theorie X eignet sich gut zur Erklärung des Sachverhaltes Y“ (112, 122, 133 f., 142) – dabei werden auch Theorien erwähnt, die in der Einleitung nicht zur Sprache kamen – wird abgehandelt, aber nicht emergent zusammengeführt.

Wenigstens steigt die Verweisdichte in Petersons Teil an, wenngleich eine besonders unerfreuliche Kuriosität hier zu Tage tritt: Wikipedia als Literaturverweis zu zitieren, ist etwas, das zurecht bereits bei Bachelorstudierenden als Unterschreitung des wissenschaftlichen Standards kritisiert wird. Besonders unangenehm ist die Tatsache, dass es mit drei Verweisen dreimal so viele Einträge aus Wikipedia in der Bibliografie gibt, wie Einträge von Beiträgen in osteuropäischen Sprachen – von denen exakt einer zu finden ist. Dass eine differenzierte Trennung von Quellen und Sekundärliteratur in der Bibliografie unterblieben ist, passt in das Gesamtbild der nachlässigen Nachweisführung.

Das siebte Kapitel stellt die Conclusio der Monografie dar, und ist bemerkenswerterweise nur als Petersons Arbeit, nicht als gemeinsames Werk beider Autoren ausgewiesen; was den Eindruck einer zusammengesetzten, nicht zusammen erarbeiteten Publikation verstärkt, den man zuvor leicht gewinnen kann. In der Zusammenfassung werden die drei Konzepte des Titels, Imperialism, Globalization und Nationalism, aufgegriffen und die vorangegangenen Berührungspunkte zusammengetragen. Ergab sich dabei eine neue, besonders verschränkte Perspektive, gestützt von politikwissenschaftlichen Theorien? Nein, weder ist dieses Buch eine Metaanalyse besonderer Qualität noch eine ungewöhnliche Perspektive, noch wirken die Theorien über mehr als Beiwerk hinaus – deutlich leitend für die Analyse sind sie nicht.

Beiläufig fragt man sich als lesende Person, welche Zielgruppe dieses Buch ansprechen soll: Für ein subakademisches, westeuropäisches Publikum sind die historischen Ausführungen sicher zu wenig strukturiert und die theoretische Kontextualisierung kaum mehr als ein schwer einzuordnendes Stichwortgeben, für ein akademisches Fachpublikum ist es zu oberflächlich, um wirklich neue Diskursimpulse zu setzen, als intellektueller Impulsgeber für politische Entscheidungsträger*innen mag es auch nicht taugen, sind die Kontexte doch eher essayistisch ausgeführt.

Peterson und Lubecki haben ein Buch vorgelegt, das mehr Zeit, mehr Umfang und Fokus, mehr Leser*innenführung und mehr Kooperation der Autoren gebraucht hätte, um die an sich gesetzten Ansprüche zu erfüllen.

 

CC-BY-NC-SA
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Weiterführende Links

Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung (IOS)

Das IOS forscht multidisziplinär zu Geschichte, Wirtschaft und Politik Ost- und Südosteuropas.

Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZIOS)

Gesellschaftsrelevante sozialwissenschaftliche Forschung zu Osteuropa für Politik und Medien.

Forschungsstelle Osteuropa (FSO) an der Universität Bremen

Das FSO analysiert u. a. aktuelle Entwicklungen in den Gesellschaften des ehemaligen Ostblocks.