Solidarität und Subsidiarität. Die EU muss im Katalonien-Konflikt auf der Seite Spaniens stehen
Vielfach wurde die Europäische Union aufgefordert, im Katalonien-Konflikt zwischen der spanischen Regierung und den katalanischen Separatisten zu vermitteln, was Thomas Jansen für nicht möglich hält. Denn die Union sei ihrem Mitgliedstaat Spanien gegenüber zur Solidarität verpflichtet. Zudem gehe es auch um eine Frage der Subsidiarität: Die Europäische Union dürfe und könne sich nicht einmischen, jedenfalls nicht ohne Aufforderung seitens des betreffenden Mitgliedstaats; andernfalls würde sie leitende Prinzipien der europäischen Verfassung verletzen.
Es ist ein beliebtes Verfahren der Euroskeptiker, von der Europäischen Union zu verlangen, was sie aufgrund ihrer politischen Verfassung und Rechtsordnung nicht leisten kann, um sie dann wegen Nichtstun und Verrat an ihren Werten anklagen zu können. In Bezug auf die Katalonien-Krise haben aber auch viele wohlmeinende Beobachter – sei es aus Unkenntnis des Sachverhalts oder aus fehlgeleiteter Sympathie für das kleine, nach Unabhängigkeit strebende Katalonien – in den Ruf eingestimmt, „Europa“ müsse in der Sache vermitteln und den Katalanen helfen. Aber wie soll Europa vermitteln zwischen der spanischen Regierung, die eine Vermittlung ablehnt, da es sich um eine innere Angelegenheit Spaniens handelt, und den katalanischen Separatisten, die von einer Vermittlung auf rechtsstaatlicher Grundlage nichts wissen wollen? Oder soll die Europäische Union die Spanier und/oder die Katalanen zur Räson bringen? Welches Organ soll dabei tätig werden? Auf welcher Rechtsgrundlage und mit welchen Instrumenten?
Gewiss, die Europäische Union wird immer mehr – neben der Union der Staaten, die sie seit Anfang an ist und weiterhin bleiben wird – auch zu einer Union der Bürger, allerdings vorerst nur insoweit die Bürger vom Recht und Handeln der Union unmittelbar betroffen sind und über das Europäische Parlament an der Gesetzgebung mitwirken.
Wenn sich die Separatisten in Katalonien darauf berufen, sie seien Bürger der Europäischen Union und hätten deshalb ein Recht darauf, deren Vermittlung und Schutz gegen Entscheidungen der spanischen Regierung in Anspruch zu nehmen, übersehen sie, dass sie erst dadurch Bürger der Union sind, dass sie Bürger des EU-Mitgliedstaats Spanien sind. Und die katalanischen Mitglieder im Europäischen Ausschuss der Regionen gehören zur spanischen Delegation und repräsentieren Katalonien als eine Region Spaniens. Die Forderung eines Eingreifens der EU zugunsten der Sache Kataloniens kann daraus nicht abgeleitet werden.
Dabei geht es in diesem Fall nicht primär um die Verteidigung des Nationalstaats, sondern vielmehr um die des Rechtsstaats und damit der Demokratie. Denn es gibt keine Demokratie außerhalb der Rechtsstaatlichkeit. Wie weit sich die katalanischen Separatisten bereits von der Demokratie entfernt haben, zeigt sich in der Arroganz, mit der sie bei ihren Entscheidungen auf dem Weg zur Erklärung der Unabhängigkeit die Rechte der parlamentarischen Opposition missachtet und den Willen der Bevölkerung, der gegen das Abenteuer der Abspaltung von Spanien gerichtet ist, ignoriert haben.
Im Übrigen handelt es sich bei diesem Konflikt um eine Frage der Solidarität, zu der die Union ihrem Mitgliedstaat Spanien gegenüber verpflichtet ist. Und ebenso geht es auch um eine Frage der Subsidiarität: Die Europäische Union darf und kann sich nicht einmischen, jedenfalls nicht ohne Aufforderung seitens des betreffenden Mitgliedstaats, wenn im Rahmen der Verfassungsordnung eines Mitgliedstaats ein Problem auftritt; andernfalls würde sie leitende Prinzipien der europäischen Verfassung verletzen.
Die spanische Regierung hat in ihrem Verhalten gegenüber Katalonien im Laufe der vergangenen Jahre gravierende politische Fehler gemacht. Ihr zentralistisches Denken hat zu einem Mangel an Sensibilität und zu unklugen, überzogenen Maßnahmen geführt, die manch katalanische Reaktion erklären, Rechtsbrüche aber nicht rechtfertigen. Dem steht gegenüber, dass die katalanische Führung, die jetzt wegen wiederholter Verfassungs- und Rechtsbrüche abgesetzt ist und sich vor Gericht rechtfertigen muss, aufgrund ihrer Uneinsichtigkeit nicht in der Lage war, eine politische, rechtskonforme Lösung des Konflikts zu konzipieren.
Ihr seltsames Verhalten könnte darauf hindeuten, dass sie von Anfang an auf Provokation setzte – in der Erwartung, dass die Reaktion der spanischen Regierung ihr die Legitimation für den revolutionären Akt der Unabhängigkeitserklärung liefern würde. Denn die Reaktion der spanischen Regierung und Justiz war vorhersehbar, da sie sich auf der Linie der in Spanien, also auch in Katalonien geltenden Verfassungs- und Rechtsordnung bewegte. Es kann den führenden Leuten des katalanischen Nationalismus nicht entgangen sein, dass ihr Verhalten die Konsequenzen nach sich ziehen würde, die sie nun beklagen. Sie sind weder Opfer undemokratischer Machenschaften der spanischen Regierung noch werden sie unterdrückt oder ungerechtfertigt verfolgt.
Das katalanische Beispiel verweist auf ein allgemeines Problem der Organisation moderner Staaten, die aufgrund ihrer regionalen Vielgestaltigkeit nicht in angemessener Weise von der Zentrale zentral verwaltet werden können, und deren Einheit die Zentralgewalt allein nicht mehr garantieren kann. Das gilt insbesondere für die Staaten mit Regionen, die über eine eigene historische und kulturelle Identität verfügen. Wie sich auch in Großbritannien, Italien und Frankreich zeigt, reicht eine Regionalisierung in Verbindung mit der Gewährung der Möglichkeit autonomer Verwaltung nicht aus. Nur eine Reorganisation im Sinne des Föderalismus wird den nach wie vor zentralistisch organisierten Staaten die Flexibilität im Inneren und die Einheit garantieren, die ihnen durch das Festhalten an einem überholten Zentralismus verloren zu gehen drohen.
Dieser Text wurde bereits in englischer Sprache veröffentlicht:
Thomas Jansen
Catalonia, Madrid and Europe. Respecting the rule of law and possible Federal response
Servizio Informazione Religiosa, 24. November 2017
Demokratie und Frieden
Essay
Zwischen Autonomie und Unabhängigkeit. Dietmar Schirmer über Katalonien, Spanien und die Europäische Union
Verantwortungslos war das unilaterale Referendum zur Unabhängigkeit Kataloniens, von dem klar war, dass die Zentralregierung es nicht anerkennen würde. Scheinheilig ist die Haltung der katalanischen Regierung, die Regierung in Madrid jetzt zu Gesprächen ohne Vorbedingungen aufzufordern und dabei zur Vorbedingung zu machen, dass das Recht der Katalanen auf eine Entscheidung für die Unabhängigkeit anerkannt werden müsse. Verantwortungslos war der rabiate Polizeieinsatz auf Anordnung der Regierung Mariano Rajoy, die jetzt darauf beharrt, politische Fragen nur verfassungsrechtlich zu behandeln. Für beide Seiten ist ein bleibender Schaden entstanden.
Digirama
Ute Müller
Teurer Traum. Kataloniens Wunsch nach Unabhängigkeit bedroht die Wirtschaft Spaniens, wenn die Lager nicht endlich den Dialog suchen.
IP-Die Zeitschrift, hrsg. von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, 2. März 2018
"Der Wunsch nach Unabhängigkeit hat Katalonien, der reichsten Region Spaniens, bislang einiges gekostet. Noch viel mehr steht allerdings für die Wirtschaft des ganzen Landes auf dem Spiel, wenn die zerstrittenen Lager nicht endlich den Dialog suchen", so die Autorin.
Katalonien: „Die EU handelt korrekt“
Ein Gespräch mit Thomas Gergen
Deutsche Welle, 20. Dezember 2017
Da für die spanischen Autonomiefragen das innerspanische Recht gelte, hält Thomas Gergen die Nicht-Einmischung der EU in das spanische Verfassungsgefüge für richtig. Ein Ausscheren Kataloniens aus dem spanischen Verfassungsgefüge könne nicht einseitig erfolgen, sondern nur mit Zustimmung Madrids. Zudem sei ein starkes Spanien von hohem Wert für Europa. Die EU habe Angst vor dem Auseinanderbrechen der Einheit: Die Korsen sind bereits erneut aufmüpfig in Frankreich. Andere können folgen: Südtirol oder natürlich Schottland", schreibt der Professor für internationales Recht.
Klaus Schrader / Claus-Friedrich Laaser
Die Bedeutung Kataloniens für die spanische Volkswirtschaft
Kiel Policy Brief, Nr. 108, September 2017
Spanien habe in den zurückliegenden Jahren die akute Wirtschafts- und Finanzkrise hinter sich gelassen und den Weg zu einer wirtschaftlichen Erholung eingeschlagen, schreiben die beiden Kieler Ökonomen Klaus Schrader und Claus-Friedrich-Laaser. Dennoch seien noch immer Strukturprobleme vorhanden, was die hohe Arbeitslosenquote verdeutliche. Katalonien sei zwar keine „Musterregion“, an der die Krise vorbeigegangen sei, leiste aber aufgrund seiner Wirtschaftskraft „einen signifikanten Beitrag zur Erholung der spanischen Volkswirtschaft, die auf Katalonien [...] nicht einfach verzichten“ könne. Gleichzeitig profitiere das industrialisierte und exportorientierte Katalonien von den wirtschaftlichen Verflechtungen mit anderen spanischen Regionen und vom freien Zugang zum EU-Binnenmarkt. Daher halten Schrader und Laaser eine Unabhängigkeit von Spanien für ungünstig und plädieren, eine Arbeitsteilung zwischen den verschiedenen staatlichen Ebenen zu suchen – in Anlehnung an die Theorie des fiskalischen Föderalismus. Die Kompetenzverteilung zwischen Zentralstaat und autonomen Regionen sollte nach dem Subsidiaritätsprinzip erfolgen und „eine angemessene Verteilung der Finanzierungslasten“ ausgehandelt werden. Ein „überzogener Nationalismus“ halten sie ökonomisch für „ebenso unvorteilhaft wie eine überzogene Zentralisierung staatlicher Kompetenzen“, denn: „Letztendlich braucht Katalonien Spanien ebenso wie Spanien Katalonien braucht.“
Dennis J. Snower
Katalonien-Konflikt: Eine Frage der Identität
IfW-Fokus, 19. Oktober 2017
Zwar würde die katalanische Wirtschaft im Falle der Unabhängigkeit Kataloniens „schweren Schaden“ nehmen, denn der wirtschaftliche Erfolg der Region basiere auf Verflechtungen mit dem In- und Ausland, schreibt Dennis J. Snower. Doch bei diesem Konflikt stehe vor allem der emotionale Aspekt im Blickpunkt – es gehe um die Identität, die gesellschaftliche Zugehörigkeit. Ein solches Zugehörigkeitsgefühl zu sozialen Gruppen hält der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel für einen Erfolgsfaktor in einer globalisierten Welt. Durch eine soziale Zugehörigkeit entstehe gegenseitiges Vertrauen. „Durch eine Unabhängigkeitserklärung würde das Vertrauen zwischen Katalanen und Spaniern stark belastet und damit auch die gemeinsamen ökonomischen Perspektiven.“ Die Probleme in Spanien sollten eine Warnung für ganz Europa sein, denn sie zeigten, dass politische und ökonomische Integration nur dann gelingen könne, wenn sie mit gesellschaftlicher Integration einhergehe: „Nur Länder, innerhalb deren Grenzen die Menschen eine gemeinsame Identität entwickeln, können langfristig ohne größere innere Konflikte überleben“. Um mehr politische und ökonomische Einheit zu erzielen, müsse die EU stärkere Anstrengungen unternehmen, sie sollte die gesellschaftliche Integration in Europa fördern und auf die Entstehung einer europäischen Identität hinwirken, die die nationale ergänzt. Im Entstehen einer gemeinsamen Identität sieht Snower nicht nur „nettes Beiwerk“, sondern hält sie für eine ökonomische und politische Notwendigkeit.
Fredrik Wesslau
Spain’s Kosovo-Catalonia conundrum
European Council on Foreign Relation, 24. November 2017
Kommentar: „Madrid stellt versehentlich Katalonien und das Kosovo gleich und zeigt sich damit als unfähig, zwischen legitimen Bestrebungen nach Selbstbestimmung und destabilisierendem Separatismus zu unterscheiden.“
Aus den Medien
Jacques Rupnik
Katalonien und der Balkan
Lettre International 119
Der französische Politologe und Historiker Jacques Rupnik, Forschungsdirektor am Centre d´études et de recherches internationales, von 1990 bis 1992 Berater des tschechoslowakischen Staatspräsidenten Václav Havel und von 1999 bis 2000 Mitglied der Unabhängigen Internationalen Kosovo-Kommission, wirft einen kritischen Blick auf die Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien. Carles Puigdemont, der als Präsident der Autonomieregierung das umstrittene Unabhängigkeitsreferendum durchgesetzt habe, sei Anfang der 1990er-Jahre nach Slowenien gereist, um den dortigen Weg in die Unabhängigkeit zu beobachten und als Fahrplan für Katalonien zu übernehmen. Allerdings sei nicht zu übersehen, dass die Bedingungen gänzlich divergierten. Anders als das zerfallende Jugoslawien sei Spanien eine funktionierende Demokratie. Rupnik warnt zudem vor den unkalkulierbaren Folgen der Unabhängigkeitsbewegung: Im ehemaligen Jugoslawien sei der Krieg nicht vorherzusehen gewesen.
zum Thema
Die Krise der Europäischen Union