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Mit Nachhaltigkeit überzeugen. In Kommunen und Regionen weltweit

15.04.2020
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Dr. Mischa Hansel

Foto: Wikimedia Commons, Lizenz CC0 1.0Die Klimakommune Saerbeck hat in einen Bioenergiepark investiert und will bis 2030 klimaneutral sein. Foto: Wikimedia Commons, Lizenz CC0 1.0

 

Im zurückliegenden Jahr sind Millionen Menschen weltweit für den Klimaschutz und eine nachhaltige Lebensweise auf die Straßen gegangen. Doch gibt es vielerorts auch Bedenken und Widerstände. Menschen und Organisationen zu überzeugen bleibt daher eine Schlüsselaufgabe bei der lokalen und regionalen Verankerung der SDGs. Mit welchen Argumenten und Initiativen kann das gelingen? Welche neuen Beteiligungsformen brauchen wir dafür? Darüber diskutierten Kommunalvertreter*innen aus verschiedenen Weltregionen mit Wissenschaftler*innen und Aktivisten im Rahmen des Bonn Symposiums am 27./28. November 2019. Eingeladen hatten die Stiftung Entwicklung und Frieden (sef:) gemeinsam mit der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW)/Engagement Global, dem Land Nordrhein-Westfalen und weiteren Unterstützern.



Kommunen gehen voran


„Nachhaltigkeit wächst von unten“ betonte NRW-Staatssekretär Dr. Heinrich Bottermann in seiner Eröffnungsrede und verwies auf das große Engagement vieler Kommunen in NRW. Auch in anderen Weltregionen sind es oft lokale Regierungen und Verwaltungen, die in Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren und lokalen Unternehmen eine Vorreiterrolle bei der Verwirklichung der globalen Nachhaltigkeitsziele übernehmen. Der Bonner Oberbürgermeister und ICLEI-Präsident Ashok-Alexander Sridharan erwähnte in diesem Zusammenhang die Bemühungen US-amerikanischer Städte, trotz starkem Gegenwind aus Washington an ambitionierten Klimaschutzzielen festzuhalten.

Sridharan berichtete von seiner Teilnahme am UN-Nachhaltigkeitsgipfel der Staats- und Regierungschefs in New York im September 2019. Dass Kommunalvertreter*innen inzwischen auch an der internationalen Diplomatie mitwirken könnten, sei maßgeblich der Generalsekretärin der UN-Klimarahmenkonvention Patricia Espinosa zu verdanken. Zugleich wünsche er sich, dass Städte und Kommunen stärker in die tatsächlichen Verhandlungsprozesse eingebunden würden. Als ICLEI-Präsident wirke er zudem darauf hin, dass mehr Kolleginnen und Kollegen auf dem internationalen Parkett Präsenz zeigen.

In den Kommunen selbst wiederum müsse gegenüber den Bürger*innen klar gesagt werden, dass der ungebremste Klimawandel hohe Kosten hervorbringen werde und es viel billiger sei, jetzt einen effektiven Klimaschutz zu finanzieren. So könne die Akzeptanz für die Nachhaltigkeitswende erhöht werden. Um den Eindruck zu vermeiden, es werde allein den Bürger*innen etwas abverlangt, müssten die Verwaltungen ihre eigenen Anstrengungen, beispielsweise zur Reduktion von CO2-Emissionen öffentlicher Gebäude oder Dienstfahrzeuge, stärker kommunizieren.



Die Debatte vielfältiger machen

Kommunikation ist der Schlüssel der Nachhaltigkeitswende – dieser Gedanke zog sich wie ein roter Faden durch das Bonn Symposium 2019. Zu oft allerdings findet Kommunikation top-down statt; lokale Gemeinschaften, gerade aus Ländern im Globalen Süden, finden in der globalen Nachhaltigkeitsdebatte wenig Gehör. Auch in den Kommunen nimmt meist nur ein kleiner und relativ homogener Personenkreis an Anhörungen im Stadtrat und ähnlichen formalen Beteiligungsmöglichkeiten teil. Vertreter*innen von Minderheiten und weniger gut vernetzte Menschen fühlen sich davon nicht angesprochen. Wie lässt sich das ändern?

„Wir müssen das Narrativ über Klimagerechtigkeit verändern“, forderte Mithika Mwenda, Generalsekretär der Pan African Climate Justice Alliance (PACJA), einem Netzwerk von 1.500 Graswurzelinitiativen in ganz Afrika. Die betroffenen Menschen vor Ort müssten auf der nationalen, regionalen und internationalen Ebene eine Stimme bekommen. PACJA versuche daher gezielt, die Perspektive von indigenen Gemeinschaften, Bäuerinnen oder Fischern zur Geltung zu bringen. Dies geschehe durch Aktionen wie einen 6.500 Kilometer langen panafrikanischen Fahrrad-Caravan oder auch durch Petitionen an nationale Parlamente. Luca Samlidis von Fridays for Future Bonn betonte ebenfalls die Bedeutung einer aktiven Basisarbeit und demokratischer Prozesse. Entscheidend sei immer das Votum der über 600 Ortsgruppen von Fridays for Future in Deutschland, die Vertreter*innen in überregionale Telefonkonferenzen entsenden. Arbeitsgruppen auf Bundesebene seien dann für die Umsetzung der Entscheidungen der Basis da.

Von Kommunalvertreter*innen wurde ebenfalls die Notwendigkeit betont, neue und dezentrale Kommunikationswege auszuprobieren. Denn die politische Kommunikationskultur habe sich radikal geändert, so der Bürgermeister von Altena Andreas Hollstein. Die Bindung an Parteien sei weg, viele lebten immer stärker in der eigenen Kommunikationsblase. Politische Kommunikation müsse vor diesem Hintergrund auf die Stadtteile runtergebrochen werden, um direkter an der Lebenswelt der Menschen zu sein. Einen ähnlichen Ansatz empfahl Simon Kaerup, Pressereferent der Stadt Kopenhagen. Man müsse aus der Verwaltung rausgehen und das Gespräch an Alltagsorten der Stadt suchen. Zum Beispiel durch Zelte in der Fußgängerzone, die zum spontanen Dialog („Pop-up Debates“) mit Kommunalvertretern einladen. Oder durch ein öffentliches Dinner mit Bürgermeistern auf Straßenplätzen, an dem Passanten spontan teilnehmen könnten. So komme man ins Gespräch auch mit jenen Menschen, die nie ins Rathaus kämen und an keiner formalen Anhörung teilnehmen würden.



Menschen mit der richtigen Botschaft erreichen

Neben der Frage, wie die Debatte über nachhaltige Themen verbreitert werden kann, spielten die Botschaften kommunaler Öffentlichkeitsarbeit eine große Rolle. Mit welchen Bildern und Erzählungen gelingt es, Menschen von einer anderen Lebensweise zu überzeugen? Wie lässt sich Nachhaltigkeit und das Engagement für eine nachhaltige Zukunft vermitteln? Gibt es Erfolgsrezepte dafür, wie mit kommunaler Öffentlichkeitsarbeit oder zivilgesellschaftlichen Kampagnen auch jene Menschen erreicht werden können, die einer ökologischen und sozialen Transformation bisher indifferent oder skeptisch gegenüberstehen?

Ganz wichtig sei es, nicht immer mit schockierenden Bildern und kognitiver Dissonanz zu arbeiten, sondern auf positive Emotionen zu setzen. So fasste Hassaan Hakim, Gründer und Eigentümer von Yool!, einer auf Nachhaltigkeitsthemen spezialisierten Werbeagentur in Giessen, seinen Ansatz zusammen. Zur Illustration präsentierte er das Video „Wien packt was drauf“, in dem ein gutgelaunter Lastenradfahrer unzählige Pakete durch das sommerliche Wien transportiert. Es sei kontraproduktiv, mit dem erhobenen Zeigefinger zu kommunizieren, argumentierte ganz ähnlich auch Katrin Meissner, die im Verkehrsministerium Baden-Württemberg für die Initiative RadKULTUR zuständig ist. Außerdem sollte möglichst ein positives Gruppengefühl angesprochen werden. Deswegen trete im zentralen Werbefilm der Initiative der Verkehrsminister im T-Shirt mit anderen Radfahrer*innen auf. Und deshalb appelliere die sogenannte RadCHALLENGE, bei der Kommunen um gefahrene Radkilometer wetteifern, an den Lokalpatriotismus der Bürger*innen. Der Wettbewerbsaspekt sowie konkrete Angebote, wie zum Beispiel kostenlose Radinspektionen, seien wichtig, um Menschen Anlässe zum Ausprobieren zu bieten. Das sei der erste Schritt zur Verhaltensänderung.



Neue Verhaltensweisen unterstützen

Bis ein neues Verhalten zur Routine wird, ist es allerdings ein langer Weg. Denn es gibt keine Verhaltensänderung ohne Rückfall, wie Professor Sebastian Bamberg von der Fachhochschule Bielefeld in seinem Vortrag über die Erkenntnisse der Umweltpsychologie verdeutlichte. Auch könne gerade am Anfang auf unangenehme Botschaften nicht ganz verzichtet werden. Wir müssen den Menschen erklären, „dass sie ein Problem haben“, das heißt, dass ihr Verhalten nicht mit ihrem positiven Selbstbild übereinstimme, erklärte Professor Bamberg. Das sei die undankbarste Aufgabe. Auch danach müssten Kampagnenbotschaften und andere Interventionen von außen immer berücksichtigen, auf welcher Stufe ein Individuum im Prozess der Verhaltensänderung und -einübung angekommen sei. Eine von ihm geleitete Studie in Berlin zeige, dass etwa für Werbematerial für den öffentlichen Nahverkehr Millionensummen ausgegeben werden, dies aber kaum Effekte habe. Allgemein könnte die kommunale Öffentlichkeitsarbeit viel mehr auf Erkenntnisse der Psychologie zurückgreifen und diese zum Beispiel nutzen, um Menschen durch individualisierte Web-Apps bei der Einübung nachhaltiger Mobilität zu unterstützen.

Müssen erfolgreiche Botschaften denn schmerzhaft sein oder sollten sie nicht doch eher Freude und Spaß vermitteln, wollte eine Teilnehmerin wissen. Spaß ist sicher nicht der beste Maßstab, entgegnete Professor Bamberg. Busfahren oder ökologische Kleidung kaufen mache schließlich selten Spaß. Er würde generell davon abraten, auf hedonistische Motive und Belohnung zu setzen. Freude könne aber auch dadurch empfunden werden, im Einklang mit den persönlichen Normen zu handeln. Viele Menschen empfänden es als Glück, ihr Leben so zu leben, dass sie wirklich dahinterstehen könnten. Auch auf dieses Versprechen könnten wir unsere Botschaften ausrichten.



Über komplexe Herausforderungen kommunizieren

In der Diskussion wurde auch darüber gesprochen, wie abstrakt oder fokussiert Kommunikation über Nachhaltigkeit sein sollte. Zu sagen, man protestiere für das Klima, führe von den Menschen weg, erläuterte Luca Samlidis. „Das Klima rettet sich selbst, wir gehen für unsere eigene Rettung auf die Straße“. Aus dem Publikum kam daran anschließend die Frage, warum sich Fridays for Future nicht stärker auf die globalen Nachhaltigkeitsziele der UN beziehe. Der engere Fokus auf den Klimaschutz sei richtig, antwortete Samlidis. Natürlich würde die Bewegung andere Nachhaltigkeitsdimensionen nicht ignorieren und etwa auf die soziale Ausgewogenheit von Klimaschutzmaßnahmen achten. Aber der Klimaschutz selbst sei schon ein komplexes Thema und könne nur begrenzt in die Medien transportiert werden. Alle wüssten, wie und wohin Greta Thunberg gesegelt sei. Vergleichsweise wenige würden die Forderungen von Fridays for Future an die Politik in Deutschland kennen. Vor dem Hintergrund dieser Medienrealität müsse man schon sehr aufpassen, die eigene Botschaft nicht zu überfrachten.

Unter den Teilnehmenden gab es unterschiedliche Meinungen darüber, in welchem Kontext der Bezug auf die SDGs sinnvoll ist. Vor allem bei Einzelmaßnahmen, wie etwa der RadCHALLENGE, könne der „SDG-Stempel“ hinderlich sein und von der Kernbotschaft ablenken. Einen weiteren Impuls zu dieser Debatte steuerte die Moderatorin und Kommunikationsexpertin Merjam Wakili in ihrem Kurzvortrag bei. So seien Botschaften oft abstrakt und komplex, weil zumeist in ‚westlichen‘ Gesellschaften oft nur anhand von Daten und Fakten über notwendigen Wandel gesprochen werde – gerade in Betrieben oder Verwaltungen. Durch Praktiken des Geschichtenerzählens, wie sie in vielen Ländern des Globalen Südens verbreitet sind, könne dagegen vielmehr Kreativität und intuitives Wissen eingebracht werden. Die Methode Lego Serious Play, die Merjam Wakili vorstellte, setzt ebenfalls stark auf das Geschichtenerzählen und die Beteiligung aller. Denn hier werden zu einem Thema individuelle Modelle aus Lego gebaut und dann in der Gruppe besprochen. Das konnten Teilnehmende des Symposiums konkret in einem Workshop erfahren.“



Experimentieren und Möglichkeiten aufzeigen


Mit Methoden wie Lego Serious Play in einen zwanglosen „Flow“ zu kommen und eingeschliffene Routinen hinter sich zu lassen – das trifft ein Grundbedürfnis vieler Akteure, die sich in Städten und Gemeinden für größere Nachhaltigkeit einsetzen. Denn oft scheinen bürokratische Hindernisse und politische Zwänge schier unüberwindbar. Welche Strategien gibt es, um daraus zu entkommen und Freiräume für Neues zu schaffen?

Eine Möglichkeit besteht darin, zunächst Nischen im Stadtbild lebenswerter zu machen, zum Beispiel ungenutzte öffentliche Flächen. Das ist die Strategie von „Ocupa tu Calle“ in Lima, wie deren Geschäftsführerin Marina Alegre erläuterte. Das könne eine zuvor verwahrloste Schulwand sein, die mit kleinen Kunstwerken verziert, oder ein hässlicher Parkplatz, der in einen lebendigen Park umfunktioniert werde. Diese Mikrointerventionen könnten größere Veränderungen bei anderen Akteuren nach sich ziehen, zum Beispiel die Einrichtung eines Dezernats für öffentliche Räume in der Stadtverwaltung. Das Ziel sei nicht, den Prozess selbst in die Hand zu nehmen, sondern anderen den Weg zu bereiten, so Alegre: „Wir brauchen einige leichte und schnelle Siege, um den Prozess zu initiieren.“ Einige Teilnehmer wiesen darauf hin, dass auch die Beteiligung staatlicher Kooperationspartner an Pilotprojekten ein guter Weg sei, um den Stein ins Rollen zu bringen.

Ein beeindruckendes Beispiel dafür, was mit Beharrlichkeit und Risikobereitschaft erreicht werden kann, präsentierte der Bürgermeister der Klimakommune Saerbeck im Münsterland, Wilfried Roos. Anfangs sei die kleine Gemeinde mit nur rund 7.000 Einwohnern für ihre visionären Projekte belächelt worden. Doch dann hätten die Bürger*innen insgesamt 75 Millionen Euro in einen Bioenergiepark investiert. Die Bürgerschaft und alle Parteien im Gemeinderat hätten an einem Strang gezogen. Dadurch sei es gelungen, auf eine Veränderung der Gemeindeordnung NRW hinzuwirken, die den Energieplänen zunächst im Weg gestanden habe. Heute produziert die Gemeinde einen deutlichen Energieüberschuss und will bis 2030 klimaneutral sein. Inzwischen kommen Besucher aus aller Welt nach Saerbeck, um sich über erneuerbare Energien und Klimaschutz vor Ort zu informieren. Allein aus der Präfektur Fukushima in Japan seien schon neun Delegationen dagewesen.



Mit Mut und Kreativität Zwänge überwinden

All diese Beispiele zeigen, so Professor Bamberg in einem Kommentar, dass „sozio-technische Systeme“ nicht so stabil seien, wie wir oft meinen. Am Anfang müsse man Herausforderungen realistisch einschätzen und sich auf kleine und erreichbare Ziele fokussieren. Damit könne Frustration vorgebeugt werden.

Wenn dies nicht genüge, dann kann auch ziviler Ungehorsam zum Ziel führen – zum Beispiel wenn eine ganze Gemeinde mit dem Bürgermeister die Straße blockiere, um gegen unsinnige Paragrafen zu demonstrieren, die einem Radfahrweg entgegenstünden. Auch Fridays for Future denke zunehmend über Aktionen des zivilen Ungehorsams nach, berichtete Luca Samlidis. Denn mit Demonstrationen allein hätten die Aktivisten die Politik nicht zum Umlenken gebracht. Weitere politische Absichtserklärungen würden nicht helfen, es fehle an der Umsetzung der schon vereinbarten Ziele. Man müsse daher weiter Aufmerksamkeit erzeugen und die Öffentlichkeit mobilisieren. Gewaltsame Aktionen lehne Fridays for Future hingegen prinzipiell ab.

Politische Widerstände und Beharrungskräfte zu überwinden ist nur eine von vielen Aufgaben. Oft erschweren finanzielle Engpässe und fehlende Ressourcen die Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele auf lokaler Ebene. Doch auch diese Hürden können mit Mut und Kreativität überwunden werden. Das zeigte der Beitrag von Kye Dudd, dem Stadtrat für Energie und Transportwesen in Bristol. Allein mit öffentlichen Mitteln könne seine Stadt die Vision der Agenda 2030 nicht zufriedenstellend umsetzen und von der nationalen Ebene gebe es kaum Unterstützung. Daher sei man einen anderen Weg gegangen und suche langfristige Partnerschaften mit der Wirtschaft. Mit dem City Leap Prospectus habe man einen Katalog von Zielen definiert und Unternehmen weltweit aufgefordert, Vorschläge für eine dezentrale ökologische Energieversorgung zu machen. Die Resonanz auf dieses offene Angebot, das sich von klassischen öffentlichen Ausschreibungen stark unterscheidet, sei überwältigend. Das Risiko habe sich also ausgezahlt.



Umdenken in der Wirtschaft unterstützen

Dass viele Unternehmen durchaus zu Risiken bereit sind und unkonventionelle Wege unterstützen, führte exemplarisch der Beitrag von Gero Böhmer vor Augen, der beim weltweit tätigen Pumpenhersteller Wilo SE für die Beziehungen zur Politik und zu zivilgesellschaftlichen Akteuren zuständig ist. Das Dortmunder Unternehmen arbeitet mit der Stadt Baruth/Mark in einem Entwicklungsprojekt in der Mongolei zusammen. Dort wurde ein lokales Ausbildungszentrum errichtet, zu dem Wilo SE moderne Wasser- und Heizungssysteme beisteuerte. Durch dieses Leuchtturmprojekt wurden auch viele andere Kommunalverwaltungen in der Region auf die Energieeinsparpotenziale der Wilo-Produkte aufmerksam gemacht. Mittelfristig würde sich das Investment daher auch ökonomisch rechnen, so Böhmer. Zudem müssten sich alle Unternehmen darüber klarwerden, dass nachhaltige Produkte und Produktionsweisen das globale Geschäft der Zukunft seien. Mit der schrittweisen Umstellung der Dortmunder Fabrik auf eine CO2-neutrale Produktion versuche Wilo SE gerade, einen neuen „Goldstandard“ für alle Produktionsstandorte zu etablieren.

Allerdings sind nicht alle Unternehmen so proaktiv und daher braucht es auch monetäre Anreize, um eine nachhaltigere Wirtschaftsweise zu fördern. Eine besondere Rolle kommt dabei der öffentlichen Beschaffung zu. Über 70 Prozent unseres Budgets wird für den Kauf privater Produkte und Dienstleistungen ausgegeben, erklärte Cynthia Ngxesha, Abteilungsleiterin für öffentliche Beschaffung in der Nelson Mandela Bay Municipality. Die gesetzlichen Grundlagen für eine nachhaltige Beschaffungspolitik in Südafrika seien längst da. Doch die Kommunen setzen diese nicht einheitlich um. Um ‚Best Practices‘ kennenzulernen und Nachhaltigkeit stärker in der Kommunalpolitik zu verankern, sei 2019 das Netzwerk Procura+ Afrika gegründet worden, in dem Kommunen aus verschiedenen afrikanischen Ländern zusammenarbeiten.



Konflikte bewältigen und das „Wir“ stärken

Allein können Politik und Wirtschaft die Nachhaltigkeitswende indes nicht voranbringen. Denn ohne den Rückhalt der lokalen Bevölkerung, so wie er in Saerbeck vorhanden war, fehlt der Transformation die nötige Akzeptanz der Menschen vor Ort. Gerade beim Ausbau erneuerbarer Energien gibt es oft erhebliche lokale Widerstände. Wie sollen Kommunen und Regionen darauf reagieren? Mit welchen demokratischen Verfahren können partikulare und übergeordnete Interessen in einen Ausgleich gebracht werden?

K.J. Joy, Gründungsmitglied und Senior Fellow der Gesellschaft zur Förderung partizipativen Ökosystemmanagements (SOPPECOM) in Pune, berichtete von dramatischen lokalen Konflikten in Indien, gerade wenn es sich um Großinfrastrukturen handele. So seien unzählige indigene Gemeinschaften vertrieben worden, um Megastaudämme zu realisieren. Mit einem partizipativen Wassermanagement würde ein solch scharfer Gegensatz zwischen Gewinnern und Verlierern vermieden. Ein Instrument könne das gemeinsame „Resource Mapping“ sein. Dadurch entwickelten alle Interessengruppen ein gemeinsames Problembewusstsein. „Wissen zu teilen bringt die Menschen zusammen“, erklärte Joy, denn „die Menschen ändern ihre Ansichten und Interessen, wenn sie mit anderen Erfahrungen konfrontiert werden“. Von der Moderatorin gefragt, was er den deutschen Kommunen bezüglich des Streits um Windturbinen und Stromspeicher raten würde, antwortete Joy, dass Anwohner und lokale Gemeinschaften an den Gewinnen der Infrastruktur im größtmöglichen Umfang beteiligt werden sollten.

 



Neue Partizipationsverfahren


Auch neue Partizipationsverfahren können helfen, den Einfluss von Partikularinteressen zu schmälern, ohne diese zu ignorieren. Wichtig seien institutionalisierte Foren und deliberative Prozesse, riet Sanskriti Menon, leitende Programmdirektorin des ebenfalls in Pune angesiedelten Centre for Environment Education. Das würde dem Ausschluss von sozial Schwächeren vorbeugen und helfen, statt persönlicher Interessen gemeinsame Werte in den Vordergrund zu stellen. Ein Teilnehmer ergänzte, dass er gute Erfahrungen mit Face-to-Face-Gesprächen zwischen Bürgermeistern und Vertreter*innen einzelner zivilgesellschaftlicher Organisationen gemacht habe. Außerdem könne es helfen, zufällig ausgewählte Bürger*innen an Beratungsprozessen zu beteiligen. Dadurch seien neben den Interessen von Anwohner*innen und anderen direkt Betroffenen auch Aspekte des übergeordneten Gemeinwohls zur Sprache gekommen. Ohne Risiko sei das aber nicht, wandte Hirotaka Koike, ein, der als Forscher am Institute for Global Environmental Strategies in Kamiyamaguchi arbeitet und Kommunen zum Thema partizipative Stadtentwicklung berät. Eine Zufallsauswahl würde oft der Diversität der Bürgerschaft nicht gerecht. Planungsprozesse würden so weniger inklusiv werden.

Ein anderer Diskussionsstrang lief darauf hinaus, dass Verwaltungen und Regierungsspitzen viel mehr auf Augenhöhe mit Bürger*innen reden müssten. Die Kopenhagener sind Experten für das Leben und die Herausforderungen in ihrer Stadt, betonte Simon Kaerup. Der Nutzen dieses Expertenwissens wird auch darin sichtbar, dass die kooperative Datensammlung durch Freiwillige der Ausgangspunkt für viele städtische Interventionen ist, die Marina Alegre in Lima durchführt. Wenn Kommunalvertreter*innen nicht mit festen Ideen in den Austausch mit Einwohner*innen treten, sondern offen für deren Präferenzen und Vorschläge seien, komme es zu erstaunlichen Ergebnissen, meinte Koike. Wenn Bürgerbeteiligung allerdings von der tatsächlichen politischen Entscheidungsfindung entkoppelt ist, verlieren die Menschen schnell das Interesse, warnte K.J. Joy abschließend dazu.

 



Die Zukunft der liberalen Demokratie

Menschen zu überzeugen und zum Mitmachen zu bewegen, ist der Kern der Demokratie. Allerdings kann nicht übersehen werden, dass demokratische Prozesse und Institutionen vielerorts unter einer akuten Vertrauenskrise leiden. Erschwerend kommt hinzu, dass Rechtspopulisten und Rechtsextreme in vielen Ländern mit verbaler und physischer Gewalt gegen demokratische Repräsentanten vorgehen, gerade wenn sich diese für wichtige Nachhaltigkeitsziele, wie die Integration Geflüchteter oder den Klimaschutz einsetzen. Hier dürfe die Mehrheit nicht schweigend zusehen, meinte Andreas Hollstein. Vielmehr müsse die Zivilgesellschaft lautstark gegen antidemokratische Bewegungen protestieren und bedrohten Kommunalvertreter*innen den Rücken stärken.

Kann eine Demokratie, deren Grundfesten zu wackeln scheinen, die Herausforderungen der Nachhaltigkeitswende meistern? Müssen wir die Demokratie radikal umbauen, um sie „fit“ für die Nachhaltigkeitswende zu machen? Wahlen jedenfalls reichen nicht aus, denn speziell in Indien gäbe es großes Misstrauen gegenüber gewählten Politikern, erklärte Sanskriti Menon. Daher müsse die repräsentative Demokratie ergänzt werden, gerade auf lokaler Ebene. Formalisierte und kontinuierliche Deliberationsverfahren würden viele Kommunen aber fürchten. So gebe es noch viel zu tun. Dem schloss sich auch Norma Tiedemann an, die im Bereich politische Theorie an der Universität Kassel forscht und lehrt. Die liberale Demokratie zu verteidigen sei zu wenig, auch wenn das vor dem Hintergrund rechtspopulistischer Gegenströmungen ein wichtiges Ziel sei. Vielmehr müssten wir über das Existierende hinausgehen und „einfach mal das Spektrum aufmachen, das es an demokratischen Formen in der Welt gibt“.

Tiedemann verwies insbesondere auf neue munizipalistische Bewegungen, die im Zuge und nach der Finanzkrise vor allem in Südeuropa und auf dem Balkan entstanden sind. Diese organisierten sich direktdemokratisch in Räten, kämpften für die Rekommunalisierung von Energie, Verkehr und Wohnraum und andere gemeinschaftliche Ziele und hätten auch den Einzug in Stadtparlamente geschafft. Andreas Hollstein äußerte sich kritischer zu diesen Bewegungen. Zwar begrüße er partizipative Verfahren und habe schon 2005 ein partizipatives Stadtentwicklungsprojekt durchgeführt. Irgendjemand müsse die politische Willensbildung aber moderieren und kanalisieren sowie auch Expertenwissen miteinfließen lassen. Sonst würden sich nur diejenigen Gehör verschaffen, die sich am besten und lautesten artikulieren könnten.

Tiedemann entgegnete, dass es nicht darum gehe, Verwaltungen abzuschaffen. Vielmehr litten diese selbst unter Sparzwängen und würden sich wünschen, mehr für das Gemeinwohl tun zu dürfen. Die Handlungsspielräume staatlicher Institutionen seien zurückgegangen und in vielen Bereichen dominiere der Markt, der keine gesellschaftliche Mitbestimmung zulasse. Hier hinein gelte es die liberale Demokratie auszuweiten. Mit gemeinschaftlichen Formen des Wirtschaftens könnten auch ökologische Nachhaltigkeitsziele besser erreicht werden, etwa durch Energiegenossenschaften oder die Reduzierung der Arbeitszeiten.

So endete das Bonn Symposium 2019 mit einem Appell, Partizipation auf lokaler Ebene ernst zu nehmen und kreative Wege jenseits etablierter Strukturen auszuprobieren. Die während der Konferenz vorgestellten nachhaltigen Initiativen „von unten“ haben dafür wichtige Impulse aufgezeigt, von Klimaschutznetzwerken über urbane Mikrointerventionen bis zu Energiegenossenschaften. Sie haben auch deutlich gemacht, dass die Agenda 2030 nicht bloß eine Herausforderung für demokratische Prozesse darstellt, sondern vielmehr eine große Chance für eine Revitalisierung der Demokratie bietet. Um diese Chance zu nutzen, müssen lokale Akteure einen Dialog auf Augenhöhe führen, unterschiedliche Expertise zusammenführen und gemeinsames Wissen schaffen. Zu diesem Austausch zwischen Aktivisten, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft möchte das Bonn Symposium auch in Zukunft einen Beitrag leisten.


Der Text ist in ähnlicher Form bereits an anderer Stelle erschienen:

Mischa Hansel (2019):
Mit Nachhaltigkeit überzeugen. In Kommunen und Regionen weltweit
Bonn Symposium 2019, sef:Konferenzbericht

 

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