„Illegitim, aber nicht illegal“. Der Umbau der ungarischen Demokratie im Spiegel der Literatur
27.10.2017Ungarn und Europa. Positionen und Digressionen. Als wichtiger Gradmesser gilt die Meinungsfreiheit, die über neue Mediengesetze eingeschränkt worden ist – was in Constitutional Crisis in the European Constitutional Area als Angriff auf die konstitutionelle Demokratie identifiziert wird. Als außerdem problematisch wird in verschiedenen Büchern die Verklärung der Geschichte eingeordnet. Das Verhältnis von Politik und Gesellschaft zu den drei rechtsdiktatorischen Vergangenheiten – Horthy-Regierung, Pfeilkreuzler-Regime und NS-Besatzungsherrschaft – sei bis in die Gegenwart nicht geklärt, schreibt Regina Fritz in ihrer Dissertation Nach Krieg und Judenmord. Auch die Erinnerung an den Holocaust sei stark von parteipolitischen Zuspitzungen überformt. Insgesamt sei das Geschichtsbild durch die Ansicht geprägt, „dass es zum Schicksal der ungarischen Nation gehöre, sich gegen äußere Gegner erwehren zu müssen“ – so nachzulesen in dem Band Ungarn 1989-2014. Aus dieser Quelle speist sich ein als dezidiert exklusiv verstehender Nationalismus, vor dessen Hintergrund Ministerpräsident Viktor Orbán mit illegitimen, aber meist nicht illegalen Mitteln versucht, eine geschlossene Gesellschaft zu etablieren, wie Jan-Werner Müller in Wo Europa endet schreibt. Möglich sei dies, weil das Land seit hundert Jahren durch den tiefen Bruch zwischen Patriotismus und Liberalismus gekennzeichnet sei, meint Paul Lendvai in Mein verspieltes Land, und bisher es sei nicht gelungen, diesen zu schließen.
„Es sind beklemmende Nachrichten, die seit 2010 mit wachsender Dringlichkeit aus Ungarn zu hören sind, diesem Land, das jahrzehntelang als Vorkämpfer der Demokratie im einstigen sowjetischen Machtbereich galt“, heißt es in der Einleitung des Bandes