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Von „America First“ zu „Problems First“? Die Biden-Administration – eine erste Bilanz nach 100 Tagen

22.06.2021
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Dr. Michael Kolkmann

 Foto Mediamodifier Pixabay
Eine schwierige Aufgabe – die Harmonierung der US-Gesellschaft als „Rubrik’s Cube“. Foto: Mediamodifier / Pixabay

 

Michael Kolkmann bilanziert die Arbeit des 46. US-Präsidenten Joe Biden in den ersten drei Monaten nach seiner Wahl. Dabei geht er zunächst auf die besonderen Bedingungen zum Zeitpunkt der Amtsübernahme ein, blickt auf zentrale personelle Weichenstellungen und stellt die politische Agenda Bidens dar. Insgesamt habe der Präsident in einer erheblichen Geschwindigkeit ein „profiliertes“ politisches Programm umgesetzt, was insbesondere im Hinblick auf die Bekämpfung der COVID19-Pandemie gelte. Darüber hinaus habe er ein gigantisches Infrastrukturpaket angestoßen, Akzente in der Klimapolitik gesetzt und vieles mehr. Kolkmann resümiert, dass mit Biden im Amt des Präsidenten „eine geordnete Regierungsmaschinerie“ und damit einhergehend eine „größere Verlässlichkeit“ zurückgekehrt sei. Seine inhaltlichen Positionierungen fänden weitgehend Zuspruch unter den US-Bürger*innen. (ste)

Eine Analyse von Michael Kolkmann

In seinen ersten 100 Tagen im Weißen Haus hat der neue US-Präsident Joe Biden ein anspruchsvolles Tempo vorgelegt. Zu den zentralen politischen Herausforderungen zählten die Bekämpfung der COVID19-Pandemie, die zügige Entwicklung einer Impfstrategie, die Rücknahme vieler Weichenstellungen der Vorgängerregierung sowie eine breit beachtete Initiative in der Klimapolitik. Neben inhaltlichen Aspekten stehen auch Reformen des politischen Systems auf der Agenda. Bei deren Umsetzung kann sich Biden aber nur auf knappe Mehrheiten der Demokratischen Partei im Kongress stützen.

 

IParl Blicktpunkt 3 2021 USA Kolkmann

  

Der zur Zeit der Weltwirtschaftskrise ins Amt gekommene Präsident Franklin Delano Roosevelt bat anfangs die Presse um eine Art Stillhalteabkommen, um 100 Tage lang die Früchte seiner „New Deal“-Gesetzgebung sichtbar werden zu lassen. Seither ist es üblich, nach besagtem Zeitraum eine erste Bilanz der Regierungstätigkeit eines neuen Amtsinhabers zu ziehen. In diesen ersten Wochen im Amt werden die Konturen der politischen Prioritäten der Administration deutlich, in dieser Frist sind für gewöhnlich die wichtigsten Personalien bestimmt worden, haben sich die zentralen Akteure eingearbeitet; zugleich lassen sich, ausgehend von dieser Bilanz, erste halbwegs belastbare Prognosen für die kommenden vier Jahre treffen.

In den vergangenen knapp fünf Jahren verging dank der Medien- und vor allem Twitterpräsenz von Präsident Donald Trump kaum ein Tag ohne „Breaking News“ aus Washington. Nach dem Amtsantritt von Joe Biden am 20. Januar 2021 bietet sich die Gelegenheit, mit unaufgeregter Distanz auf das politische System der Vereinigten Staaten zu schauen und aktuelle Entwicklungen in den Blick zu nehmen. Zutage tritt ein geordneter Regierungsprozess, der wichtige Probleme des Landes aufgreift und einer möglichst rationalen Lösung zuführt. In Abgrenzung zur Vorgängerregierung könnte man einen Wandel von „America First“ unter Trump zu „Problems First“ unter Biden konstatieren.

In der breiten Öffentlichkeit nicht zuletzt aufgrund seines fortgeschrittenen Alters als Übergangspräsident perzipiert, legte Biden in den ersten 100 Tagen seiner Regierung nicht nur ein beachtliches Tempo vor, sondern setzte darüber hinaus ein sehr profiliertes politisches Programm um. Von der bei seiner Wahl gelegentlich geäußerten Erwartung, er würde einen zurückhaltenden politischen Kurs fahren, ist bislang nicht viel zu bemerken. Zu dieser positiven Einschätzung der neuen Administration dürften zu einem erheblichen Maße die offenkundigen Versäumnisse der Vorgänger-Administration unter Präsident Trump beigetragen haben.1 Aber Biden hat – kaum im Amt – schnell und beherzt agiert. In manchen Berichten und Kommentaren wird er bereits mit Roosevelt verglichen (dessen Büste Biden übrigens beim Einzug in das Weiße Haus im Oval Office platzieren ließ); andere politische Beobachter interpretieren die ersten Wochen und Monate der Biden-Regierung als „revolutionär“ und „transformativ“2.

Dieser „IParl-Blickpunkt“ zieht auf mehreren Ebenen eine Bilanz der ersten drei Monate Bidens im Weißen Haus und konzentriert sich dabei zunächst auf die besonderen Bedingungen zum Zeitpunkt seiner Amtsübernahme. Sodann folgt ein kurzer Blick auf wichtige personelle Weichenstellungen und eine Vorstellung der politischen Agenda mit dem Schwerpunkt der Bekämpfung der COVID19-Pandemie. Abschließend werden einige grundlegende Aspekte der amerikanischen Demokratie erörtert.


Die Ausgangslage: ein schwieriger Transitionsprozess

Selten ist ein neuer Präsident unter so herausfordernden Umständen ins Amt gekommen wie der 46. Präsident der Vereinigten Staaten, Joe Biden. Das Agitieren Trumps gegen die Rechtmäßigkeit der Wahl vom 3. November 2020 führte dazu, dass in den Wochen danach ein beträchtlicher Teil der Anhänger der Republikanischen Partei davon überzeugt war, dass die Wahl nicht rechtmäßig abgelaufen sei. So stimmten im Dezember 2020 in einer Umfrage 70 Prozent der befragten Republikaner der Einschätzung zu, dass die Wahlen weder „fair“ noch „frei“ waren.3 In einer anderen Umfrage gaben 77 Prozent der Unterstützer Trumps zu Protokoll, dass Biden nur aufgrund von Betrug gewonnen habe. 68 Prozent der Republikaner sagten, dass die Wahl „manipuliert“ sei und nur 29 Prozent betonten, dass Biden ordnungsgemäß gewonnen habe.4 Diese von Trump angefeuerte Kampagne gipfelte am 6. Januar 2021 in einem Sturm auf das Kapitol, gerade als im Senat die Ergebnisse des Wahlleutegremiums („Electoral College“) kodifiziert wurden. Eine zweite zentrale Herausforderung der Biden-Administration war die Corona-Pandemie, an der bis zum Tag der Amtseinführung insgesamt 400.000 Amerikaner gestorben waren.5 Hinzu kam eine massive Wirtschaftskrise im Gefolge der Pandemie.6

Erschwert wurde die Amtsübernahme zudem auf verwaltungstechnischer Ebene in der Regierungsbürokratie durch eine verzögerte Transition von der Trump- zur Biden-Administration. Für gewöhnlich handelt es sich dabei um einen stark formalisierten Prozess, der mehrere Monate vor einem etwaigen Wahlsieg des Herausforderers beginnt. So weigerten sich zum Beispiel Verantwortliche der Trump-Regierung, entsprechende Gelder für die Transition freizugeben, und ebenso sehr verzögerte sich in vielen Ministerien die vorbereitende Übergabe der Amtsgeschäfte an die neue Regierung.7

Überschattet wurde der Amtsantritt Bidens zudem durch das zweite Amtsenthebungsverfahren („Impeachment“) gegen Donald Trump. Die Anklage der Demokraten im Repräsentantenhaus hatte ihm vorgeworfen, er habe die Teilnehmenden an der Demonstration am 6. Januar 2021 zu dem Angriff auf den Kongress aufgefordert und anschließend nichts unternommen, um das amerikanische Parlament zu schützen. Das Verfahren wurde von Demokratischer Seite im Kongress vorangetrieben, da Trumps Vizepräsident Mike Pence sich unmittelbar nach dem Sturm auf das Kapitol geweigert hatte, Trump gemäß dem 25. Zusatzartikel der US-Verfassung für amtsunfähig erklären und absetzen zu lassen. Am 13. Januar 2021 brachte das Repräsentantenhaus mit einer Mehrheit von 232 zu 197 Stimmen dieses Verfahren auf den Weg; da am 13. Februar 2021 im Senat nur 57 statt der erforderlichen 67 der 100 Mitglieder (Zwei-Drittel-Mehrheit) für eine Amtsenthebung stimmten, scheiterte dieses Verfahren ebenso wie der erste Versuch gegen Donald Trump im Winter 2019/2020.8

Reaktion der Öffentlichkeit: mehrheitliche Zustimmung

In der Bevölkerung stößt Biden kurz vor Erreichen der 100-Tage-Marke auf bemerkenswert große Zustimmung. Einer Umfrage des Pew Research Centers zufolge heißen 59 Prozent der Befragten die Art und Weise, wie Biden seinen Job ausfüllt, für gut, 39 Prozent waren der gegenteiligen Ansicht.9 Wie gut dieser Wert ist, zeigt der Vergleich mit den Vorgängern Bidens: Nur Barack Obama (61 Prozent) und Ronald Reagan (67 Prozent) übertrafen im April ihres ersten Amtsjahres diesen Wert. Eine ähnliche Zustimmung wie Biden erreichte George H. W. Bush (58 Prozent). Bill Clinton (49 Prozent) und George W. Bush (55 Prozent) lagen knapp darunter, Donald Trump (39 Prozent) dagegen deutlich. In derselben Umfrage geben 44 Prozent der Befragten an, dass Biden den Ton der politischen Debatte verbessert habe, 29 Prozent empfinden das Gegenteil, für 27 Prozent der Befragten gibt es keinen Unterschied.


Personelle Weichenstellungen: viel Erfahrung und mehr Diversität

Mit Ausnahme von Neera Tanden, die ihre Nominierung zur Haushaltschefin des Weißen Hauses nach dem Bekanntwerden herabsetzender Tweets über Politiker der Republikanischen Partei zurückzog, sind inzwischen nahezu alle Kabinettsnominierungen Bidens trotz eines parteipolitisch gespaltenen Senats bestätigt worden; insgesamt handelt es sich dabei um 21 von 23 Positionen.10 Derzeit gibt es nach dem Rückzug Tandens noch keinen neuen Vorschlag für die Besetzung des „Office for Management and Budget“. Bei der weiteren noch nicht besetzten Kabinettsposition handelt es sich um die Berufung von Eric Lander, der für das „Office of Science and Technology Policy“ vorgesehen ist. In dieser Aufgabe wird Lander damit befasst sein, die Regierung in Fragen rund um Klimaschutz, künstliche Intelligenz und Diversität in den Wissenschaften zu beraten sowie Handlungsempfehlungen aus der Corona-Krise für das Gesundheitswesen zu entwickeln. Beim Tempo der Bestätigungen bewegt sich die Biden-Administration trotz der erwähnten Startschwierigkeiten im Transitionsprozess auf dem Niveau früherer Administrationen. Obama gelang es zum Beispiel, das letzte Kabinettsmitglied am 99. Tag seiner Amtszeit bestätigen zu lassen; bei Trump und George W. Bush war am 100. Tag jeweils ein Kabinettsposten noch nicht besetzt.11

Mit Ron Klain hat ein alter Vertrauter Bidens die vielleicht wichtigste Position in der politischen Maschinerie des Weißen Hauses übernommen: Er fungiert als Bidens Chief of Staff und verfügt damit über weitreichende Befugnisse im politischen Prozess der Exekutive. Diese Funktion hat Klain in der Vergangenheit bereits für gleich zwei Vizepräsidenten, Al Gore sowie Biden selbst, innegehabt; außerdem war er in der amerikanischen Regierung zu einem früheren Zeitpunkt für die Bekämpfung einer Pandemie verantwortlich gewesen, nämlich die vom Ebola-Virus verursachte.

Mit John Kerry, dem langjährigen Senator, Präsidentschaftskandidaten und Außenminister, als Beauftragtem für die Klimapolitik, mit Janet Yellen, ehemals Chefin der US-Zentralbank Federal Reserve, als Finanzministerin und mit Anthony Blinken, einem überzeugten Multilateralisten und früheren stellvertretenden Nationalen Sicherheitsberater, als Außenminister sind altgediente und erfahrene Persönlichkeiten in die wichtigsten Ämter der neuen Regierung aufgerückt. Es handelt sich somit um ein Kabinett mit zahlreichen politisch erfahrenen Insidern, was angesichts der langjährigen Tätigkeit Bidens als Mitglied des Senats (1973-2009) sowie als Vizepräsident (2009-2017) nicht überrascht. Mit insgesamt 44 Jahren in diesen Ämtern verfügt Biden über eine Erfahrung, wie sie in den vergangenen Jahrzehnten wohl nur George H. W. Bush zu Beginn seiner Amtszeit vorweisen konnte. Zugleich handelt es sich um das Kabinett mit der größten Diversität der amerikanischen Geschichte. Insgesamt 55 Prozent seiner Mitglieder gehören nicht-weißen Bevölkerungsgruppen an, 45 Prozent der Besetzungen sind weiblich. Bemerkenswert ist dabei die Berufung eines hispanischen Einwanderers, Alejandro Mayorkas, zum Chef des Heimatschutzministeriums. Der frühere Bürgermeister von South Bend (Indiana) und Präsidentschaftskandidat Pete Buttigieg ist der erste offen schwule Minister der amerikanischen Regierung. Mit Lloyd Austin steht erstmals ein Afroamerikaner an der Spitze des Pentagons. Innenministerin Deb Haaland ist die erste Ureinwohnerin in einem Ministeramt der amerikanischen Bundesregierung. Mit Merrick Garland hat Biden jemanden zum Justizminister bestellt, den Obama im Frühjahr 2016 an den Supreme Court berufen wollte, was daran scheiterte, dass die Republikaner mit Blick auf die bevorstehende Präsidentschaftswahl im November 2016 den Anhörungsprozess im Senat blockierten. Vizepräsidentin Kamala Harris hatte sich ursprünglich selbst um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten beworben, war aber nach den ersten enttäuschenden Ergebnissen aus dem Rennen ausgeschieden und hatte später im Wahlkampf ihren Konkurrenten Biden unterstützt.

Die Zusammenstellung des Kabinetts lässt in Zukunft – gerade im Vergleich zur Vorgängerregierung – einen stärkeren Teamgeist erwarten. Anders als unter Trump dürften die Mitglieder des Kabinetts auch und gerade öffentlich eine größere Rolle spielen, zusätzlich befördert durch die Tatsache, dass Biden sich zunächst und vor allem um die Bekämpfung der Corona-Pandemie zu kümmern hat.

Inhaltliche Weichenstellungen: „Anything but Trump?“

Wie bei vielen vorhergehenden Administrationen auch ist anfangs einer der Schwerpunkte der Biden-Regierung die Rücknahme wichtiger Entscheidungen des Vorgängers gewesen, in diesem Fall eine Art „Anything but Trump“-Politik. Dies begann am Tag der Amtseinführung mit gleich 17 unterzeichneten Dekreten („Executive Orders“), mit denen unter anderem die Rückkehr der Vereinigten Staaten in das Pariser Klimaabkommen besiegelt, ein Baustopp für die von Trump angeordnete Grenzmauer zu Mexiko verhängt und das Einreiseverbot für Staatsangehörige bestimmter muslimisch geprägter Länder rückgängig gemacht wurde.12 Diese Dekrete müssen nicht den Kongress passieren; Biden konnte so quasi per Federstrich die Politik seines Vorgängers korrigieren.

Das erste erfolgreiche Gesetzespaket des neuen Präsidenten, das der Kongress verabschiedete, hatte die Bekämpfung der COVID19-Pandemie zum Gegenstand und firmierte unter dem Titel „American Rescue Plan“. Am 9. März 2021 stimmten im Repräsentantenhaus 220 Mitglieder der Gesetzesvorlage zu, 211 Abgeordnete votierten dagegen. Damit hatte das Paket, nachdem zuvor bereits der Senat am 6. März 2021 mit 50 zu 49 Stimmen der Vorlage zugestimmt hatte, den Kongress passiert und wurde am 11. März 2021 von Präsident Biden unterzeichnet13 – ein Paket, das der Chief of Staff Ron Klain als die „progressivste innenpolitische Gesetzesvorlage innerhalb einer Generation“14 bezeichnete. Zu den Bestandteilen gehören eine Einmalzahlung von 1.400 Dollar an Millionen Haushalte und Finanzspritzen für Bundesstaaten und Kommunen sowie für Schulen und Kindergärten. Familien mit Kindern bekommen Steuernachlässe, die Arbeitslosenhilfe von wöchentlich 300 Dollar wird bis September 2021 aufgestockt und die Hilfen für Geringverdiener werden ausgeweitet.15 Wie bei den großen Reformvorhaben zu Beginn der ersten Amtszeit Barack Obamas erfolgte die Verabschiedung dieses Gesetzespakets ausschließlich mit Stimmen Demokratischer Kongressmitglieder. In der Öffentlichkeit stießen die Bemühungen der Administration auf ein positives Echo. In einer Umfrage des Pew Research Centers gaben 70 Prozent der Befragten an, die in diesem Gesetz festgeschriebenen Maßnahmen zu unterstützen, lediglich 28 Prozent taten dies nicht. Auffällig sind die in der Umfrage zutage tretenden Unterschiede zwischen den Parteianhängern: Bei denen, die sich als Demokrat oder den Demokraten nahestehend bezeichneten („Democrat/Lean Democrat“), unterstützten 94 Prozent das Paket, sechs Prozent taten dies nicht. Auf der anderen Seite („Republican/Lean Republican“) sprachen sich 41 Prozent der Befragten für das Paket aus, 57 Prozent lehnten es ab.16

Ein zweiter Bereich der COVID19-Bekämpfung war das Impfen. Klang die ursprüngliche Zielrichtung der Administration, in den ersten 100 Tagen seit Amtsantritt 100 Millionen Amerikaner zu impfen, recht anspruchsvoll, so konnte dieses Ziel sehr bald sogar übertroffen werden. Am 22. April 2021 betrug die Zahl der verabreichten Impfdosen 200 Millionen.17 Auch dieser überraschend zügige Vollzug stieß in der amerikanischen Bevölkerung auf große Zustimmung. 72 Prozent der Befragten einer Umfrage – nämlich 88 Prozent derer, die sich als Demokraten oder als den Demokraten nahestehend bezeichnen, sowie 55 Prozent der Republikaner bzw. der den Republikanern nahestehenden Bürger – waren im April der Überzeugung, dass die Administration bei der Impfstrategie einschließlich der Herstellung und Verteilung der Vakzine einen „ausgezeichneten“ oder „guten“ Job gemacht habe.18

Punkten möchte Biden auch mit seinem Infrastrukturpaket, das aktuell auf der politischen Agenda des Kongresses steht. Für zwei Billionen US-Dollar will der Präsident Straßen und Brücken sanieren, das Stromnetz klimafreundlich ausbauen, in Schulen investieren und schnelles Internet in ländliche Gebiete bringen. Einige Finanzierungsaspekte des Pakets sind noch offen – ebenso offen ist, ob Biden für diese Vorlage auch Stimmen von Republikanischen Kongressmitgliedern gewinnen kann.

Auf der politischen Agenda Bidens steht nach dem Schuldspruch eines Gerichts in Minneapolis (Minnesota) gegen den Ex-Polizisten Derek Chauvin eine Reform der Polizeistrukturen, insbesondere mit Blick auf die tödliche Polizeigewalt gegen Afroamerikaner.19 Auch die Flüchtlingspolitik wird die Regierung in den nächsten Wochen und Monaten beschäftigen. Ursprünglich hatte Biden angekündigt, bei der Aufnahme von Flüchtlingen die noch von Trump herrührende Obergrenze von 15.000 pro Jahr beizubehalten. Aufgrund massiver Kritik, auch und gerade in seiner eigenen Partei, musste Biden diese Entscheidung revidieren. Bis zum 15. Mai will der Präsident nun eine endgültige, erhöhte Flüchtlingsobergrenze festlegen. Um welche Zahl es geht, ist noch nicht bekannt. Biden hat zudem grünes Licht für die Ansiedlung von Flüchtlingen aus zuvor gesperrten Regionen gegeben. Nach den neuen Vorgaben können mehr Menschen aus Afrika, dem Nahen Osten und Zentralamerika in die Vereinigten Staaten kommen. Zudem wurden Beschränkungen der Trump-Regierung für Migranten aus Somalia, Syrien und dem Jemen aufgehoben.

Die zentrale außenpolitische Herausforderung der amerikanischen Regierung ist und bleibt die Frage des Umgangs mit China. Hier scheint sich Biden von einer starren Sanktionierungspolitik verabschieden zu wollen. Mit Blick auf den Klimagipfel vor einigen Tagen lässt sich feststellen: Biden „droht nicht mit Sanktionen, hat aber auch kein Verständnis für Pekings Ausreden, es habe als Entwicklungsland ein Anrecht, mehr zu verschmutzen als die westlichen Industriestaaten. Biden lädt China ein, gemeinsame Führungsverantwortung mit den USA und Europa zu übernehmen.“20 Russland muss sich unter Biden auf eine verlässliche kritische Haltung einstellen, was Konsequenzen für die deutsche Bundesregierung bedeutet, denn auch Biden steht dem Nordstream2-Projekt kritisch gegenüber. Wie bei anderen transatlantischen Themen dürfte sich hier vor allem der Ton der US-Administration ändern, inhaltlich sich aber viele Forderungen der Vorgängerregierung wiederfinden lassen. Außerdem dürfte das Verhältnis zu Nordkorea auf der außenpolitischen Agenda der Biden-Regierung verbleiben.

Zum symbolträchtigen Termin 11. September 2021, genau zwanzig Jahre nach den Anschlägen auf die Twin Towers in New York und das Pentagon in Washington, werden die letzten amerikanischen Truppenkontingente aus Afghanistan abgezogen. Damit endet auch der Einsatz der Bundeswehr dort.21 Der von der Trump-Regierung angekündigte Truppenrückzug aus der Bundesrepublik wurde gestoppt, beim Besuch von Verteidigungsminister Lloyd Austin bei seiner deutschen Amtskollegin Annegret Kramp-Karrenbauer Anfang April 2021 verkündete dieser sogar die geplante Aufstockung der in Deutschland stationierten amerikanischen Streitkräfte um 500 Soldaten.22

Akzente setzte Präsident Biden in den ersten drei Monaten seiner Amtszeit nicht zuletzt in der Klimapolitik. Außerdem unternimmt er große Anstrengungen, um diesen politischen Schwerpunkt mit anderen Politikfeldern zu verknüpfen, etwa der Energiewende, dem Ausbau der Elektromobilität und einschlägigen Infrastrukturmaßnahmen, welche die Gelegenheit bieten, Millionen gut bezahlte Jobs zu schaffen. Kurz vor dem von Biden für den 22. und 23. April 2021 angesetzten virtuellen Klimagipfel mit 40 Spitzenpolitikern aus aller Welt kündigte das Weiße Haus neue nationale Emissionsziele an.23 Bis 2030 wollen die Vereinigten Staaten demnach den Ausstoß von Treibhausgasen um etwa 50 Prozent im Vergleich zum Wert aus dem Jahr 2005 verringern. Mit diesem ehrgeizigen Ziel verfügt die amerikanische Regierung über einen bedeutenden Hebel, um im Ausland auf Klimaschutzmaßnahmen zu drängen. Mit dieser Initiative erfüllt die Biden-Regierung eine Vorgabe des Pariser Klimaabkommens von 2015. Es sieht vor, dass Mitglieder ihre Klimaziele alle fünf Jahre nachbessern. Die USA hatten sich 2015 unter dem damaligen Präsidenten Barack Obama darauf festgelegt, bis 2025 den Ausstoß von Treibhausgasen um 26 bis 28 Prozent unter den Wert von 2005 zu senken. Nachdem die Vereinigten Staaten unter Präsident Trump zwischenzeitlich aus dem Abkommen ausgetreten waren, sendete Biden mit der Ankündigung ein deutliches Zeichen. Zuvor hatten nicht nur Umweltschützer, sondern auch zahlreiche große Unternehmen die Regierung gedrängt, ambitionierte Klimaziele vorzulegen. Die Biden-Administration plant eine Reihe ehrgeiziger Gesetze, um die Vorgaben zu erfüllen. Unter anderem soll die Öl- und Gasindustrie mit strengeren Auflagen belegt werden, Autohersteller und -käufer sollen Anreize erhalten, auf E-Fahrzeuge umzusteigen, Hunderttausende amerikanischer Häuser sollen besser gedämmt werden. Geplant ist zudem, die US-Energiekonzerne zu verpflichten, mehr Strom aus erneuerbaren Energien zu gewinnen. In der neuen US-Regierung scheint man davon überzeugt zu sein, dass nur so ein weiterer Anstieg der Erdtemperatur über den gefährlichen Wert von 1,5 Grad Celsius hinaus verhindert werden kann. Allerdings ist derzeit offen, ob Biden sich im eigenen Land mit seinen ambitionierten Vorstellungen durchsetzen kann: Die Republikaner haben Widerstand gegen wichtige Teile seiner Klimapolitik angekündigt. Und auch in Bidens eigener Partei, bei den Demokraten, gibt es Kritik.

Eine Darstellung der Politik der Biden-Administration anlässlich einer 100-Tage-Bilanz lässt sich jedoch nicht (nur) auf eine (zwangsläufig ausgewählte) politische Prioritätensetzung reduzieren, sondern muss auch den spezifischen institutionellen Kontext des politischen Systems in den Blick nehmen.

Das präsidentielle System der Vereinigten Staaten: Funktionslogik und diskutierte Institutionenreformen

Die Grundidee der „separate institutions sharing powers“ im klassischen präsidentiellen politischen System der Vereinigten Staaten, wie es der Politikwissenschaftler Richard Neustadt in seinem Klassiker „Presidential Power“ (1960) beschrieben hat, sind getrennte Institutionen, die aber in der konkreten Machtausübung kooperieren müssen, also gegenseitige Unabhängigkeit mit dem Zwang zur Zusammenarbeit verbinden. Im Mittelpunkt steht das Verhältnis zwischen Exekutive und Legislative. Beide, Präsident wie Kongress, kommen unabhängig voneinander ins Amt, und beide können sich aus politischen Gründen nicht aus dem Amt bringen; dies ist höchstens aufgrund justizieller Aspekte durch ein Impeachment-Verfahren möglich. Daraus folgt, dass sich der Präsident im Kongress nicht einer Mehrheit für alle seine Vorhaben sicher sein kann, selbst wenn seine eigene Partei die Mehrheit stellt, wie es aktuell mit dem Demokraten Biden im Weißen Haus und den knappen Mehrheiten der Demokratischen Partei im Kongress der Fall ist.

Diese „checks and balances“ lassen sich anhand vieler Aspekte des politischen Systems illustrieren: Der Kongress verabschiedet Gesetze, die vom Präsidenten mit einem Veto belegt werden können, das wiederum vom Kongress mit Zwei-Drittel-Mehrheiten in beiden Kammern überstimmt werden kann. Der Präsident schließt internationale Verträge, denen der Senat zustimmen muss. Er nominiert zudem Kabinettsmitglieder, Richter für die Bundesgerichte einschließlich des Supreme Courts und Botschafter, die vom Senat bestätigt werden müssen. Der Supreme Court kann Gesetze des Kongresses, aber auch Entscheidungen des Präsidenten für verfassungswidrig erklären. Die unterschiedlichen Amtszeiten machen einen Teil der (temporalen) Gewaltenteilung aus: Der Präsident wird auf vier Jahre, Mitglieder des Repräsentantenhauses für zwei, Senatoren für sechs Jahre und Richter am Supreme Court auf Lebenszeit gewählt. Durch die Berufung von Richtern an den Supreme Court können Präsidenten sicherstellen, dass die Rechtsprechung auch über ihre eigene Amtszeit hinaus auf Jahrzehnte entweder liberal oder konservativ geprägt sein wird. So hat Trump in seiner vierjährigen Amtszeit insgesamt drei neue Richter nominieren können. Diese politischen Strukturen verlangsamen und verkomplizieren den politischen Prozess, die Gefahr eines „Gridlocks“, eines Stillstands der Politik, ist stets gegeben, wie sich in den vergangenen Jahren etwa mit der Schließung der Bundesregierung wiederholt zeigte.

Aus politikwissenschaftlicher Perspektive muss zur Betrachtung verfassungsrechtlicher Grundlagen stets eine Analyse der Verfassungswirklichkeit hinzutreten. Die zentrale Entwicklung der vergangenen Jahre und Jahrzehnte ist die zunehmende und in nahezu allen Bereichen zu beobachtende parteipolitische Polarisierung, vor der auch die Regierung Joe Bidens nicht gefeit ist. Diese Entwicklung hat lange vor der polarisierenden Amtszeit von Donald Trump begonnen. Ihre Ursachen bewegen sich von demographischen und ökonomischen Entwicklungen bis hin zum Einfluss der Medien und der Neuziehung von Wahlbezirken sowie der Polarisierung innerhalb der politischen Eliten.24

Fraglich ist, ob ein neuer Stil und neue Inhalte genügen, um die vergangenen vier Jahre der Trump-Regierung zu überwinden oder ob nicht in das „Betriebssystem der amerikanischen Demokratie“25 eingegriffen werden müsste. Diese Debatte über „die kritische Infrastruktur der Demokratie“26 ist nicht neu, dürfte aber in den kommenden Wochen und Monaten mit verstärkter Intensität geführt werden. Im Mittelpunkt dieser Bemühungen steht die Kongressvorlage H.R.1/S.1 mit dem Titel „For the People Act of 2021“, die unter anderem die Stärkung und Sicherung der Wählerrechte vorsieht, darüber hinaus ein Programm zur Neuordnung der Wahlkreise und die Modernisierung der teilweise veralteten Infrastruktur beinhaltet sowie eine Reform der Wahlkampffinanzierung plant. Hinzu kommen mehr Transparenz im Spendenwesen, der verstärkte Einsatz öffentlicher Gelder und eine Stärkung von Klein- und Kleinstspendern gegenüber Großspendern sowie verschiedene Ethikregeln für Präsidentschaftskandidaten und Richter am Supreme Court.27 Interessanterweise hatte im vorangegangenen 116. Kongress das Repräsentantenhaus mit seiner damaligen Demokratischen Mehrheit einer identischen Vorlage bereits zugestimmt. Das Schicksal dieser Vorlage wurde dann im Senat besiegelt, als sich der Republikanische Mehrheitsführer Mitch McConnell weigerte, sie auf die Tagesordnung zu setzen.

Von entscheidender Bedeutung für den weiteren Erfolg der Biden-Administration sind die Machtverhältnisse auf Capitol Hill. Im Repräsentantenhaus verfügen Bidens Demokraten über eine sehr knappe Mehrheit. Die zentrale Figur wird dabei Madam Speaker Nancy Pelosi als ranghöchste Politikerin der Demokraten im Kongress sein, deren größte Herausforderung darin liegt, die unterschiedlichen Flügel der eigenen Fraktion zusammenzuhalten und somit in wichtigen Abstimmungen eigene Mehrheiten sichern zu helfen.28 Die prozeduralen Regeln der Kammer erlauben es der Mehrheitspartei, weitestgehend die Tagesordnung zu bestimmen und abweichende Stimmen nicht zu sehr ins Gewicht fallen zu lassen. Anders sieht es im Senat aus, wo die Mehrheitsverhältnisse noch knapper sind. Demokraten und Republikaner kommen hier auf jeweils 50 Senatoren (die beiden unabhängigen Senatoren Angus King und Bernie Sanders stimmen in der Regel mit der Demokratischen Fraktion). Bei Stimmengleichstand kann die Vizepräsidentin Kamala Harris das ausschlaggebende Votum abgeben. Für die Verabschiedung wichtiger Gesetze sind aber nicht 50 oder 51 Stimmen nötig, sondern 60, denn erst mit dieser Stimmenzahl könnte man einen Filibuster unterbinden, eine Dauerrede eines Senators, mit der das gesamte parlamentarische Geschehen zum Stillstand gebracht werden könnte. Innerhalb der Demokratischen Partei ist zuletzt eine Debatte darüber entbrannt, ob es nicht sinnvoll ist, mit der eigenen knappen Mehrheit dieses Instrument abzuschaffen. In manchen Abstimmungen werden die Demokratischen Parteiführer im Senat aber im aktuellen 117. Kongress noch nicht einmal auf die eigenen Fraktionsmitglieder zählen können; so stammt der Demokrat Joe Manchin zum Beispiel aus dem stark Republikanisch geprägten West Virginia (einem Staat, den Donald Trump in der Präsidentschaftswahl von 2020 mit 40 Prozentpunkten Vorsprung gewinnen konnte) und wird, um die eigenen Wiederwahlchancen nicht zu gefährden, eine allzu progressive Agenda seiner Demokraten im Zweifelsfall nicht mittragen. Manchin hat sich zum Beispiel erst kürzlich gegen die Abschaffung des Filibusters ausgesprochen.

Biden und die Demokraten auf Capitol Hill müssen mit Blick auf die weitere politische Prioritätensetzung bis zu den Zwischenwahlen im November 2022 eine grundsätzliche Entscheidung treffen: Wollen sie weiterhin nicht nur rhetorisch, sondern auch substanziell auf eine Zusammenarbeit mit den Republikanern setzen, oder wollen sie mit ihren eigenen Mehrheiten ein stark Demokratisch geprägtes Programm verabschieden? Diese Mehrheiten nicht für die Verabschiedung einer weitreichenden legislativen Agenda genutzt zu haben, könnte den Demokraten in den nächsten Zwischenwahlen auf die Füße fallen. Die ersten Monate deuten darauf hin, dass Biden nicht allzu viel Zeit damit verbringen möchte, sich um breite legislative Unterstützung durch die Republikaner zu bemühen, sondern seine knappen Mehrheiten nutzen wird, um seine politischen Prioritäten durch den Kongress zu bringen.

Schließlich ist ein Blick auf den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten, den Supreme Court, wichtig. Nicht ausgeschlossen ist, dass Biden in absehbarer Zeit einen der neun Sitze am Gericht neu besetzen kann. Politische Beobachter halten es nicht für ausgeschlossen, dass der amtierende Richter Stephen Beyer, der noch von Präsident Clinton nominiert worden war, bis zur Zwischenwahl 2022 zurücktreten könnte, um die Möglichkeit für Biden zu eröffnen, einen neuen, eher liberalen Richter zu ernennen.29 Parallel wird bei den Demokraten darüber diskutiert, die von Trump mit seinen drei Neuberufungen nach rechts verschobene Balance am Supreme Court durch zusätzliche Berufungen zurück in die Mitte bzw. nach links zu verschieben. Die aktuelle Zahl von neun Richtern ist nirgendwo rechtlich kodifiziert. Um mögliche Reformoptionen auszuarbeiten, hat die Biden-Regierung zunächst eine Expertenkommission eingesetzt.30

Fazit: Rückkehr zu mehr Berechenbarkeit, aber „keine dritte Amtszeit Obamas“

Klar geworden ist in den ersten 100 Tagen der Biden-Regierung, dass die Amtszeit des 46. Präsidenten keine „dritte Amtszeit Obamas“31 darstellt. Zu einschneidend waren die vergangenen vier Jahre unter Donald Trump. Und zu sehr scheint Biden von den Fehlern Obamas gelernt zu haben. Was mit Biden auch zurückgekehrt ist, ist eine geordnete Regierungsmaschinerie und damit einhergehend eine größere Verlässlichkeit, eine stärkere Routinisierung auch außenpolitischer Prozesse, befördert durch viele bekannte Gesichter aus vorangegangenen Demokratischen Administrationen. Hierbei handelt es sich abseits der inhaltlichen Weichenstellungen um einen nicht zu unterschätzenden Aspekt der ersten 100 Tage Bidens – ein politischer Alltag ohne tägliche Empörungsspirale, ohne Twitter-Attacken und ohne sprunghafte Unberechenbarkeit des und der politisch Verantwortlichen – etwas, was gelegentlich als „the power of public service“32 charakterisiert wird.

Die oben skizzierten inhaltlichen Positionierungen Bidens finden bislang weitgehend Zuspruch unter den amerikanischen Bürgern. Unentschieden zeigten sie sich in der Einschätzung zur Frage, ob er das gespaltene Land auch zusammenführen kann – ein Unterfangen, das Biden sich in seiner Rede zur Amtseinführung selbst auf die Fahnen geschrieben hatte.33 Seine Bemühungen auf diesem Gebiet dürften in der Rückschau auf seine Amtszeit vermutlich eine ebenso große Beachtung finden wie die konkreten legislativen Errungenschaften seiner Zeit im Weißen Haus.

Die erste Zeit der Biden-Administration hat bestätigt, was an anderer Stelle als „Drahtseilakt“ charakterisiert worden ist – „zwischen den Progressiven in seiner eigenen Partei, die strukturelle Veränderungen einfordern, und seinem Anspruch, das Land zu vereinen, was ein Zugehen auf einen Teil der republikanischen Wählerschaft und deren Vertreter im Kongress impliziert“34.

Eine 100-Tage-Bilanz wird am Ende nicht darüber entscheiden, wie die kommende Wahl ausgehen wird oder wie die Biden-Administration in Erinnerung bleiben wird. Aber ein starker Anfang ist gemacht. Zumindest bis zur Zwischenwahl im November 2022 kann Biden zwar nicht durchregieren, aber versuchen, die (knappen) Demokratischen Mehrheiten auf Capitol Hill so gut es geht zu nutzen. Erfahrungsgemäß verliert die Partei des Präsidenten in Zwischenwahlen Mandate, so dass das Regieren nach den Zwischenwahlen deutlich schwieriger werden dürfte.35 Auch deshalb ist zu erwarten, dass Joe Biden das mit Amtsantritt am 20. Januar 2021 eingeschlagene Rekordtempo weiter hochhalten wird.


Anmerkungen

1 Vgl. für einen grundlegenden Überblick Florian Böller et al. (Hrsg.): Donald Trump und die Politik der USA. Eine Zwischenbilanz, Wiesbaden 2020.

2 Vgl. Edward Luce: Joe Biden’s Quietly Revolutionary First 100 Days, Financial Times online vom 18. März 2021, https://www.ft.com/content/22b39e9b-9b21-4d82-ba5b-8cc427c13cd8; David Brooks: Joe Biden Is a Trans-formative President, The New York Times online vom 11. März 2021, https://www.nytimes.com/2021/03/11/opinion/biden-covid-relief-bill.html.

3 Vgl. Martin Thunert: Von Trump zu Biden: Wohin gehen die USA nach der Anti-Trump-Wahl vom 3. November 2020?, in: Gesellschaft-Wirtschaft-Politik (GWP), 70. Jg. (2021), H. 1, S. 49-59.

4 Vgl. Peter Wehner: Trump’s most malicious legacy, The Atlantic online vom 7. Dezember 2020, https://www.theatlantic.com/ideas/archive/2020/12/trumps-most-malicious-legacy/617319/.

5 Vgl. Cecilia Smith-Schoenwalder: U. S. Coronavirus Death Toll Tops 400,000 Day Before Biden’s Inauguration, USNews.com vom 19. Januar 2021,
https://www.usnews.com/news/national-news/articles/2021-01-19/us-coronavirus-death-toll-tops-400-000-day-before-bidens-inauguration.

6 Vgl. Sarah Hansen: Covid-19 Recession: 10 Important Numbers That Sum Up America’s Economic Crisis One Year Later, Forbes.com vom 14. März 2021, https://www.forbes.com/sites/sarahhansen/2021/03/24/covid-19-recession-10-important-numbers-that-sum-up-americas-economic-crisis-one-year-la-ter/?sh=7e19e2c84942.

7 Vgl. Arlette Saenz / Jeff Zeleny / Sarah Mucha: Biden Transition Making Fundraising Push As Trump Adminis-tration Blocks Funding, CNN.com vom 20. November 2020, https://edition.cnn.com/2020/11/20/politics/biden-fundraising-transition/index.html

8 Als Verlierer der Wahl vom 3. November 2020 war Donald Trump zwar am 20. Januar 2021 aus dem Amt geschieden, aber auch eine quasi nachträgliche Amtsenthebung hätte für Trump weitreichende rechtliche Konsequenzen haben können.

9 Vgl. Biden Nears 100-Day Mark With Strong Approval, Positive Rating for Vaccine Rollout, The Pew Research Center vom 15. April 2021, https://www.pewresearch.org/politics/2021/04/15/biden-nears-100-day-mark-with-strong-approval-positive-rating-for-vaccine-rollout/.

10 Anders als in parlamentarischen Regierungssystemen ist das Kabinett in einem präsidentiellen System nicht von der Mehrheit im Parlament abhängig, sondern eher ein beratendes Organ des Präsidenten. Da Biden mehrere Kongressmitglieder in sein Kabinett berufen hat und diese aufgrund des Inkompatibilitätsgebots ihren Sitz im Repräsentantenhaus aufgeben mussten, ist die Demokratische Mehrheit dort weiter reduziert worden.

11 Vgl. Theodoric Meyer / Alex Thompson: Biden’s Last Man Standing, Politico.com vom 20. April 2021, https://www.politico.com/newsletters/transition-playbook/2021/04/20/bidens-last-man-standing-492536

12 Vgl. Roland Nelles / Marc Pitzke: Biden und die Stunde null. 17 Erlasse am ersten Tag, SPIEGEL online vom 21. Januar 2021, https://www.spiegel.de/politik/ausland/joe-biden-und-seine-ersten-amtshandlungen-als-us-praesident-a-8d9d2445-0214-4b6d-8d2c-bb9caba7937c.

13 Vgl. Jeff Stein: ’We need the government‘: Biden’s 1.9 trillion relief plan reflects seismic shift in U. S. politics, The Washington Post online vom 7. März 2021, https://www.washingtonpost.com/us-policy/2021/03/07/stimulus-politics/.

14 Vgl. Carl Hulse: After Stimulus Victory in Senate, Reality Sinks in: Bipartisanship is Dead, in: The New York Times online vom 6. März 2021, https://www.nytimes.com/2021/03/06/us/politics/stimulus-senate-bipartisanship-biden.html.

15 Vgl. Jeff Greenfield: With No Votes to Spare, Biden Gets a Win Obama and Clinton Would Have Envied, Politico.com vom 6. März 2021, https://www.politico.com/news/magazine/2021/03/06/with-no-votes-to-spa-re-biden-gets-a-win-obama-and-clinton-would-have-envied-474022.

16 Vgl. Broad Public support for Coronavirus Aid Package; Just a Third Say It Spends too Much, The Pew Research Center vom 9. März 2021, https://www.pewresearch.org/politics/2021/03/09/broad-public-support-for-coronavirus-aid-package-just-a-third-say-it-spends-too-much/.

17 Vgl. 200 Millionen gespritzte Impfdosen: Biden erreicht zentrales 100-Tage-Ziel bei Corona-Impfungen, Der Tagesspiegel online vom 21. April 2021, https://www.tagesspiegel.de/politik/200-millionen-gespritzte-impf-dosen-biden-erreicht-zentrales-100-tage-ziel-bei-corona-impfungen/27119270.html.

18 Vgl. Biden Nears 100-Day Mark With Strong Approval, a. a. O. (Fn. 9).

19 In Minneapolis starb am 25. Mai 2020 der Afroamerikaner George Floyd, nachdem der weiße Polizist Derek Chauvin für neuneinhalb Minuten auf Floyds Hals kniete und ihm trotz zahlreicher Bitten Floyds und umstehender Zeugen bis zu seinem Tod die Atemluft abdrückte. Drei weitere beteiligte Polizisten schritten nicht ein. In den Tagen und Wochen danach kam es landesweit zu zahlreichen Protesten gegen Polizeigewalt. Vgl. James Politi / Lauren Fedor: Biden Faces Police Reform Challenge in Wake of Chauvin Verdict, Financial Times online vom 22. April 2021, https://www.ft.com/content/d7291f86-8602-4997-9fce-c02b874e30c7.

20 Christoph von Marschall: Start des virtuellen Klimagipfels. In Asien müssen die Emissionen sinken – sonst ist die Klimarettung verloren, Der Tagesspiegel online vom 21. April 2021, https://www.tagesspiegel.de/politik/start-des-virtuellen-klimagipfels-in-asien-muessen-die-emissionen-sinken-sonst-ist-die-klimarettung-verlo-ren/27118852.html.

21 Vgl. Bundeswehr stellt sich auf schnelleren Abzug aus Afghanistan ein, ZEIT online vom 1. April 2021, https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-04/afghanistan-bundeswehr-abzug-nato-usa-islamismus.

22 Vgl. USA wollen 500 zusätzliche Soldaten in Deutschland stationieren, ZEIT online vom 13. April 2021, https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-04/lloyd-austin-usa-militaer-deutschland-truppenabzug-russland.

23 Vgl. Brad Plumer / Nadja Popovich: The U. S. Has a New Climate Goal. How Does It Stack Up Globally?, The New York Times online vom 22. April 2021, https://www.nytimes.com/interactive/2021/04/22/climate/new-climate-pledge.html

24 Vgl. zu den Hintergründen mit besonderem Fokus auf den US-Kongress David Sirakov: Politik in der Krise. Polarisierungstendenzen im politischen Prozess der USA, in: Christian Lammert / Markus B. Siewert / Boris Vormann (Hrsg.): Handbuch Politik USA, Wiesbaden 2020, S. 1-2.

25 Vgl. Christoph Bieber / Klaus Kamps: Alles auf Anfang, Regierungsforschung.de vom 12. Februar 2021, https://regierungsforschung.de/alles-auf-anfang/, S. 10.

26 Jan-Werner Müller: Die Bürger müssen das Land retten: Warum Amerika politische Reformen braucht, Neue Zürcher Zeitung online vom 5. März 2021, https://www.nzz.ch/feuilleton/amerika-die-buerger-muessen-die-politik-retten-ld.1604710.

27 Vgl. Christoph Bieber / Klaus Kamps, a. a. O. (Fn. 25), S. 11f.

28 Aufgrund des präsidentiellen Regierungssystems sind die Fraktionen im Kongress nicht mit jenen in einem parlamentarischen Regierungssystem zu vergleichen. Sie zeichnen sich durch eine tendenziell schwächer ausgeprägte Parteidisziplin aus. Als Mehrheitsfraktion müssen sie funktionslogisch auch nicht die Stabilität und Handlungsfähigkeit der Regierung gewährleisten.

29 Vgl. Jonathan Martin: How Democrats Are Already Maneuvering to Shape Biden’s First Supreme Court Pick, The New York Times online vom 21. Februar 2021, https://www.nytimes.com/2021/02/21/us/politics/biden-su-preme-court-black-woman.html.

30 Vgl. Charlie Savage: Biden’s Supreme Court Commission May Weigh a Range of Potential Changes Beyond Expanding Seats, The New York Times online vom 16. April 2021, https://www.nytimes.com/2021/04/16/us/bidens-supreme-court-commission-may-weigh-a-range-of-potential-changes-beyond-expanding-seats.html?searchResultPosition=1.

31 Vgl. Biden im ersten Interview seit der Wahl: „Das wird keine dritte Amtszeit Obamas”, SPIEGEL online vom 25. November 2021, https://www.spiegel.de/politik/ausland/joe-biden-im-interview-das-wird-keine-dritte-oba-ma-amtszeit-a-2b8556ae-1d78-47c3-9909-6d6578f11d1c.

32 Edward Luce: Joe Biden’s Quietly Revolutionary First 100 Days, a. a. O. (Fn. 2).

33 Vgl. Nicholas Kristof: Biden’s Classy Call for an “America United”, The New York Times online vom 20. Januar 2021, https://www.nytimes.com/2021/01/20/opinion/biden-inaugural-address.html?searchResult-Position=11.

34 Martin Thunert: Von Trump zu Biden, a. a. O. (Fn. 3), S. 54.

35 Hinzu kommt: Im laufenden Jahr werden, wie stets alle zehn Jahre, die Grenzen vieler Wahlkreise des Repräsentantenhauses neu zugeschnitten, um eine möglichst gleichmäßige Verteilung der Wähler zu gewährleisten. Dies erfolgt auf Ebene der Bundesstaaten, wo die Republikaner in den vergangenen Jahren stark an Mandaten hinzugewinnen konnten, so dass sie von diesem „Redistricting“ stärker profitieren dürften als die Demokraten.


Die Erstveröffentlichung des Beitrags erfolgte auf der Website des Instituts für Parlamentarismusforschung https://www.iparl.de/de/, Blickpunkt 3 / April 2021: https://www.iparl.de/de/ver%C3%B6ffentlichungen/blickpunkt.html

 

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