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Trumps Stockholm-Syndrom. USA und Nordkorea in Verhandlung

29.10.2019
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Prof. Mason Richey

Foto: Geralt / PixabayFoto: Geralt / Pixabay

 

Die Verhandlungen zwischen den USA und Nordkorea zum Atomprogramm stocken. Die Zeit für eine Annäherung wird knapp

Der Einsatz war hoch. Nach einer Unterbrechung von sieben Monaten hatten die USA und Nordkorea am 4. Oktober 2019 in der schwedischen Hauptstadt ihre Gespräche über die Denuklearisierung auf Arbeitsebene wieder aufgenommen. Die Initiative endete allerdings schnell wieder. Noch am gleichen Tag erklärte Nordkorea die Gespräche für gescheitert. Dies lässt nicht gerade darauf schließen, dass die Monate der Diplomatie ein glückliches Ende finden werden. Pjöngjang hat sich eine Frist bis zum Januar 2020 gesetzt. Werden bis zu diesem Zeitpunkt keine Fortschritte gemacht, plant das Regime, zu seinem aggressiven, destabilisierenden Verhalten zurückzukehren.

Bereits nach dem fehlgeschlagenen Gipfel mit Trump und Kim im Februar in Hanoi wurden die Verhandlungen zwischen den USA und Nordkorea nicht gerade positiv bewertet: Sie seien festgefahren, steckengeblieben, zerbrochen, blockiert, so einige der Einschätzungen. Offiziell betrachtet traf das zu, und sogar ein theatralisches Treffen zwischen Trump und Kim in der demilitarisierten Zone Koreas im Juni konnte die Arbeitsgespräche nicht wieder ins Rollen bringen. Doch Pjöngjang hat während der letzten sieben Monate formalen Stillstands weiterverhandelt.

Das formale Schweigen Nordkoreas aber sprach gleichzeitig Bände: Dass das Land offiziell keine Kommentare über eine mögliche Wiederaufnahme der Gespräche abgegeben hatte, unterstrich (a) Kims Unzufriedenheit mit dem US-Angebot in Hanoi, und sprach (b) dafür, dass Pjöngjang keinen (wirtschaftlichen oder sonstigen) Druck verspürt, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Nordkoreas offizielles Schweigen war ein Zeichen dafür, dass das Land die Zeit auf seiner Seite zu haben glaubt und dass es Gespräche nur aus einem Gefühl der Stärke heraus fortführen wollte.


„Nordkoreas vielfältige Raketenstarts übermitteln eine unmissverständliche Botschaft an die US-Verhandlungsführer: Das Land wird sein Atomwaffenprogramm niemals aufgrund von Verhandlungen aufgeben.“

Zudem übermittelten Nordkoreas vielfältige Raketenstarts, die am ersten Oktober in einem erfolgreichen Test einer neuen U-Boot-gestützten ballistischen Rakete gipfelten, eine unmissverständliche Botschaft an die US-Verhandlungsführer: Das Land wird sein Atomwaffenprogramm niemals aufgrund von Verhandlungen aufgeben, und jeder Versuch eines Abkommens mit dem Ziel der Aufgabe des Programms ist zum Scheitern verurteilt.

Drittens – und dies ist für den Abbruch von Stockholm am wichtigsten – mag sich Pjöngjang in den letzten sieben Monaten zwar geweigert haben, offizielle Gespräche zu führen, aber inoffiziell gab es durchaus wortreiche Kommentare. Mit einem Schwall von Floskeln kritisierte Nordkorea die „feindliche Politik“ Südkoreas und der USA, drückte seine Unzufriedenheit mit den Beamten und Verhandlungsführern der USA aus und drängte Amerika dazu, für die Themen der Denuklearisierung, der Sanktionserleichterungen und der Sicherheitsgarantien eine neue Berechnungsmethode einzuführen.

Es handelte sich also um Verhandlungen zur Vorbereitung der eigentlichen Verhandlungen – ein Versuch, den Spielraum zu erweitern und die Agenda eventueller Gespräche im Vorfeld festzulegen. Dabei legt die nordkoreanische Interpretation nahe, dass die „neue Berechnungsmethode“ Zugeständnisse der USA für Maßnahmen enthalten sollte, die Pjöngjang bereits zwischen 2018 und 2019 in die Wege geleitet hat. Dazu zählen die Zerstörung der Nukleartestanlage Punggye-ri, der Rückbau der Sohae-Startanlage und die Aussetzung der Tests von Nuklearsprengköpfen und Langstreckenraketen. Das Team des US-Gesandten Stephen Biegun erfüllte diese nordkoreanischen Erwartungen jedoch nicht. Also beendeten die Asiaten die Verhandlungen kurzerhand.

Das ist bitter. Trotz der Verhandlungsflaute zwischen Februar und September und trotz der nordkoreanischen Raketentests äußerten die USA in dieser Zeit sowohl über die Medien als auch über die diplomatischen Kanäle wiederholt ihre Gesprächsbereitschaft. Zudem deutete Washington an, auch für eine begrenzte und schrittweise Einigung offen zu sein. Dass die USA in Hanoi noch auf eine sofortige Lösung bestanden hatten, war ein zentraler Faktor für das dortige Scheitern gewesen. Die nordkoreanischen Politiker begannen gemeinsam mit ihrem neuen Verhandlungsführer Kim Myong-gil, die Möglichkeit neuer Verhandlungen optimistischer zu betrachten. Jetzt scheinen diese Hoffnungen allerdings zerschlagen zu sein.


„In einem optimistischen Szenario blufft Nordkorea nur, um Verhandlungsspielraum zu gewinnen. Demnach wird das Land in einigen Wochen an den Verhandlungstisch zurückkehren.“

Wie geht es nun weiter? In einem optimistischen Szenario blufft Nordkorea nur, um Verhandlungsspielraum zu gewinnen. Demnach wird das Land in einigen Wochen an den Verhandlungstisch zurückkehren. Vieles spricht dafür, dass Washington und Pjöngjang noch immer ganz am Anfang stehen: Immer noch gibt es keine gemeinsame Definition von „Denuklearisierung“, ganz zu schweigen von einem Plan, wie diese erreicht werden könnte. Aber obwohl die Diplomatie zwischen den beiden Ländern in den letzten zwanzig Monaten sehr unprofessionell verlief, haben beide Seiten ein gewisses Verständnis für die Prioritäten der Gegenseite gewonnen.

Kehrt Pjöngjang also an den Verhandlungstisch zurück, steht Washington nicht mit leeren Händen da. Vox berichtete vor dem Stockholmer Treffen, die USA seien bereit, eine 36-monatige Aussetzung der sektoralen Sanktionen gegen die nordkoreanischen Textil- und Kohleexporte anzubieten – im Gegenzug für eine „nachprüfbare Schließung der Yongbyon-Nuklearanlage und eine weitere Maßnahme, wahrscheinlich die Beendigung der nordkoreanischen Urananreicherung“.

Dies wäre eine abgewandelte Version des „Yongbyon-plus-Alpha“-Vorschlags der USA in Hanoi. Träfe dieser Vox-Bericht zu, entspräche dies der US-Ausgangsposition. Dies lässt Verhandlungsspielraum erwarten. So könnten die USA ihre Forderungen für die Aussetzung der Sanktionen senken. Sollten sie ihre Forderungen beibehalten, könnten sie im Gegenzug die Sanktionen noch stärker abbauen. Auch sickerte durch, die USA könnten erwägen, den Tourismus am Kumgangsan-Gebirge wieder aufzunehmen.

In diesem Szenario ist die größte Frage, ob Kim Jong-uns Verhandlungsteam befugt ist, über grundlegende Themen zu verhandeln. Bei den bisherigen Arbeitstreffen war dies nicht der Fall. Dort lag der Schwerpunkt nicht auf harten Kompromissen zu den Themen Denuklearisierung, Sanktionen oder Sicherheit, sondern auf der Vorbereitung der Gipfeltreffen beider Staatschefs. Ob Kim Myong-gil nun bei den Verhandlungen mit Stephen Biegun tatsächlich etwas zu bieten hat oder ob er sich auf Gespräche über einen dritten Trump-Kim-Gipfel beschränkt, bleibt abzuwarten.


„Zeigen sich beide Seiten halsstarrig, wird Kim Jong-uns Frist bis zum Januar 2020 ohne Ergebnisse verstreichen. Dann wird Nordkorea sein Arsenal von Raketen und Atomwaffen weiterhin qualitativ und quantitativ verbessern.“

Doch selbst wenn er über Substanzielles sprechen kann, ist es fraglich, ob Pjöngjangs Verständnis von Denuklearisierung – ihr Umfang, Ablauf, ihre Kontrolle und Durchsetzung – mit den Erwartungen Washingtons übereinstimmt. An Kompromissvorstellungen zu Denuklearisierung, Sanktionen und Sicherheit mangelt es der amerikanischen Seite nicht. Dass aber Pjöngjang an einer Denuklearisierung Interesse hat, deren Preis und Umfang Washington akzeptieren könnte, dafür gibt es kaum Hinweise.

Es könnte aber auch sein, dass es Nordkorea bitterernst damit ist, während der Verhandlungen als De-Fakto-Nuklearmacht behandelt zu werden. Mag sein, dass man in Pjöngjang glaubt, die Zeit (und die Abschwächung der Sanktionen) spielten ihnen in die Hände. Dann würde das Land seine Maximalposition wahrscheinlich aufrechterhalten. In diesem Fall nähme Pjöngjang die Verhandlungen wohl nur dann wieder auf, wenn es dabei um Sanktionserleichterungen für bereits durchgeführte Maßnahmen und um (zu einem hohen Preis durchgeführte) Waffenkontrollen ginge. Die Denuklearisierung wäre damit implizit vom Tisch. Trotz der damit verbundenen Sicherheitsprobleme und Gefahren der Weiterverbreitung von Atomwaffen könnten die USA dies als die realistischste (und am wenigsten schlechte) Option betrachten. Unter diesen Bedingungen zu verhandeln, wäre für die USA zwar sicherlich ein demütigendes Zugeständnis. Aber das Weiße Haus unter Trump hat schon Schlimmeres in Wahlerfolge umgemünzt.

Eine dritte Möglichkeit ist, dass Pjöngjang und Washington weiterhin die Entschlossenheit der jeweils anderen Seite ignorieren und ihre eigene Position überschätzen. Zeigen sich beide Seiten halsstarrig, wird Kim Jong-uns Frist bis zum Januar 2020 ohne Ergebnisse verstreichen. Dann wird Nordkorea sein Arsenal von Raketen und Atomwaffen weiterhin qualitativ und quantitativ verbessern.

„Die Machthaber in Pjöngjang könnten sich darüber freuen, dass das Weiße Haus Schwäche zeigt. Sie könnten aber auch die Bremsen anziehen – weil sie fürchten, dass jede Einigung von einer neuen US-Regierung widerrufen werden könnte.“

In der aktuellen Sackgasse der US-nordkoreanischen Gespräche zur Denuklearisierung gibt es mindestens eine große Unbekannte: das wahrscheinliche Amtsenthebungsverfahren in den USA. Vermutlich wären dem Weißen Haus positive Presseberichte über einen erfolgreichen Gipfel zu Nordkorea sehr willkommen. Aber Trump wird durch sein Verfahren abgelenkt sein, was die Verhandlungsmöglichkeiten für Bieguns Team beeinträchtigen könnte. Unbekannt ist auch, wie die Nordkoreaner Trumps Problem einschätzen: Die Machthaber in Pjöngjang könnten sich darüber freuen, dass das Weiße Haus Schwäche zeigt. Sie könnten aber auch die Bremsen anziehen – weil sie fürchten, dass jede eventuelle Einigung von einer neuen US-Regierung widerrufen werden könnte.

Auch Kims Januar-Frist für den Denuklearisierungsprozess ist zweischneidig. Sie ist eine nützliche Taktik, um Druck auf die US-Seite auszuüben, die einen Erfolg braucht. Aber gleichzeitig bindet sie Kims Hände, da er, sollte bis dahin keine Einigung erzielt werden, gezwungen sein wird, entweder sein Versprechen einer gefährlichen Eskalation einzulösen, indem er „in eine andere Richtung“ geht. Oder er verliert an Glaubwürdigkeit.

Vielleicht mag Stockholm für die amerikanisch-nordkoreanische Nukleardiplomatie nicht die letzte Möglichkeit gewesen sein, aber die Uhr tickt. Hoffentlich wird bald die zweite Runde eingeläutet.

 

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff.



Zur Erstveröffentlichung des Beitrags:
Mason Richey: Trumps Stockholm-Syndrom, IPG-Journal, 9. Oktober 2019

 

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Hanns Günther Hilpert, Oliver Meier (Hrsg.)
Facetten des Nordkorea-Konflikts. Akteure, Problemlagen und Europas Interessen
SWP-Studie 2018/S 18, September 2018

 

Oliver Meier
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