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Daniel-Pascal Zorn: Logik für Demokraten. Eine Anleitung

15.05.2017
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Autorenprofil
Dr. Dirk Burmester
Stuttgart, Klett-Cotta 2017

Die Ursachen des gegenwärtigen rechtspopulistischen Aufschwungs werden in zahllosen Neuerscheinungen dekliniert. Eine Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen Behauptungen findet meist allenfalls am Rande statt. In diesem Buch stehen die Argumente im Mittelpunkt. Der Philosoph Daniel-Pascal Zorn setzt sich allerdings weniger mit dem Was als vielmehr mit dem Wie auseinander. Er prüft die Aussagen von Populisten und Demokraten mit den Mitteln der Logik, einer Teildisziplin der Philosophie. Es geht dem Autor nicht um rhetorisches Können, also letztlich um Überzeugungskunst und die Fähigkeit, Zusammenhänge zu verschleiern. Populistisches und totalitäres Denken basieren Zorn zufolge vielmehr auf empirisch oder logisch nicht ausreichend begründbaren Setzungen, anders als das demokratische Denken. Wer es also schafft, eine Debatte mit einem Populisten ausschließlich nach den Geboten der Logik zu führen und die Rhetorik des Gegenübers zu entlarven, müsste demnach die Debatte für sich entscheiden können.

Im ersten Teil des Buches zeigt Zorn, auf welchen Annahmen populistisches Denken beruht. Diese fasst er am Ende des Buches noch einmal in Kurzbeschreibungen zusammen. Dazu gehört insbesondere die dogmatische Setzung („Petitio Principii“) – also der Anspruch, etwas ohne weitere Begründung für alle anderen festlegen zu können, beispielsweise die wahren Vertreter „des“ Volkswillens zu sein. Populistische Argumentationen sind meist sehr offen und vage, um breite Kreise ansprechen zu können. Die eigene Sichtweise wird zudem absolut gesetzt – und damit die Möglichkeit, dass man es auch anders sehen könnte, negiert. „Ein solches Schwarz-Weiß-Denken nennt die Logik ein Falsches Dilemma“ (41). Des Weiteren sieben Populisten alles aus, was ihren Setzungen widerspricht, und nehmen alles, was diese stützt, als Belege für deren Wahrheit. Dadurch, dass die eigene, als absolut geltende Perspektive im Widerspruch zu anderen Ideologien und Meinungen steht, erscheinen unterschiedliche Opponenten als auf mysteriöse Weise miteinander Verbundene oder gar Verbündete. Verschwörungstheorien sind die schon fast zwangsläufige Folge solchen Denkens. Weitere Aspekte populistischen Denkens sind unter anderem Selbst-Viktimisierungen (wer Opfer ist, hat immer recht) und Feindbild-Konstruktionen. Ausführlich widmet sich Zorn auch den Taktiken von Populisten, etwa leicht verständliche Andeutungen, gezielte Provokationen, das Schüren von Angst usw. Populistischen Strategen ist demnach am besten zu begegnen, indem man ihre Strategien für alle sichtbar macht. Schwieriger ist es, wenn jemand von seiner populistischen Position tatsächlich überzeugt ist. Angriffspunkte bieten hier jene unlogischen Setzungen, die Zorn analysiert.

Der zweite Teil des Buches ist dem totalitären Denken gewidmet und damit der Steigerungsform des populistischen Denkens. Zorn verdeutlicht die Vorzüge dieser Denkweise: „Die gesamte Welt ist in Ordnung – es ist unsere Ordnung [...]. Wir können an jedem Ort eingreifen und vollkommen frei alles nach unserem Gutdünken verändern.“ (108) Im Totalitarismus gebe es keine quälend langen Debatten mehr, und es herrsche Frieden. Innerhalb des ihm zugewiesenen Bereichs sei jeder Mensch frei. Ein solches System erzeugt jedoch zwangsläufig eklatante Widersprüche und Abgrenzungen gegenüber Nicht-Erwünschtem, was eine permanente Abwehrhaltung erfordert. Insbesondere die bereits bei Populisten vorhandene Setzung, man sei im Besitz der alleinigen Wahrheit, führt zu Problemen. Denn alle anderen müssen demnach falsch liegen – und entsprechend häufig wird der totalitäre Denker mit der Infragestellung seiner Position konfrontiert, was seine Aggressivität erklärt. Die Unendlichkeit der Möglichkeiten, aus seiner Sicht falsch zu liegen, begründet den Hang des Totalitarismus zum Exzess.

Demokratisches Denken beschreibt Zorn im dritten Teil als das genaue Gegenteil. Dieses gehe von der Möglichkeit unterschiedlicher Sichtweisen aus, die im Dialog miteinander verbunden werden. Dem Dialog liege stets ein Verstehen-Wollen zugrunde. Und bereits die Tatsache, dass sich zwei in einem Gespräch befinden, stifte eine gewisse Form der Gemeinsamkeit. Zorn betont zudem die innere Orientierung nicht nur an sich selbst, sondern an der Gemeinschaft – nicht aus moralischen Gründen, sondern weil es der realen Redesituation entspreche. Demokraten setzten ihre öffentlich geäußerte Meinung der Kritik und den Argumenten der anderen aus, legten sie quasi zur Prüfung vor, statt von ihrer Richtigkeit vollkommen überzeugt zu sein. Vorstellungen unabänderlicher und allumfassender Gemeinsamkeiten eines Volks oder einer Kultur entlarvt Zorn als unlogisch, entsprechend haben sie im demokratischen Denken keinen Platz. Die Vorstellung, das Gemeinwesen beruhe primär auf einer gemeinsamen Redesituation, dürfte allerdings schwerlich für ein verbreitetes Zusammengehörigkeitsgefühl taugen. Dennoch zeigt Zorn in diesem letzten Abschnitt, dass demokratisches Denken nicht einfach nur eine Ideologie unter vielen ist, sondern ein vernunftorientiertes, offenes und logisches Denken.

Ausflüge von Philosophen zu aktuellen Phänomenen und Problemen der aktuellen Politik sind selten. Zorns Buch kann den Populismus-Diskurs ungemein bereichern. Völlig neu ist sein Ansatz freilich nicht. Ein ähnliches Vorgehen findet sich bereits in dem Buch „Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren“, das mittlerweile in der achten Auflage erschienen ist. Der Autor Hubert Schleicher ist ebenfalls Philosoph. Wissend, dass ein Fanatiker nicht mit (rationalen) Gegenargumenten zu erreichen ist, empfiehlt er die Subversion. Auch ihm geht es darum, letztlich wahre, unleugbare Tatsachen für die eigene Argumentation heranzuziehen. Da sich Ideologien aus Sicht ihrer Vertreter nicht widerlegen lassen, muss die Gegenseite sie durch Thematisierung unangenehmer Wahrheiten attackieren.

Zorn bezieht sich immer wieder auf Platon und Aristoteles und die Lage in der attischen Polis. Die destruktive Kraft des Populismus gab es schon damals, zum Teil mit frappierenden Parallelen zur heutigen Zeit. Das Buch passt in eine Argumentationsrichtung, die in der Rechtspopulismus-Debatte gegenwärtig mehr Beachtung findet. Die eigene demokratisch-liberale Position sei gewissermaßen ein blinder Fleck in der Analyse; womöglich gebe es Aspekte an der liberalen, repräsentativen Demokratie selbst, die den Rechtspopulismus mit befeuern. Zumindest sollte es langsam klar werden: Mit Empörung und Diskussionsverweigerung ist Rechtspopulisten nicht beizukommen.

 

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