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Thomas Rhenisch

Europäische Integration und industrielles Interesse. Die deutsche Industrie und die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft

Stuttgart: Franz Steiner Verlag 1999 (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 152); 276 S.; kart., 98,- DM; ISBN 3-515-07537-2
Rhenisch untersucht den Einfluss, den die bundesdeutsche Industrie und insbesondere der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) auf die Positionen der Bundesregierung im Prozess der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) genommen hat. Im besonderen will er die These prüfen, nach der die europäische Integration "vor allem dem Interesse des westdeutschen Industriekapitals diente, das nach dem Scheitern der militärischen Option lediglich die Methode und geographische Richtung seines Expansionsdranges geändert habe." (7) Die Beantwortung der Frage erfolgt im wesentlichen auf der Grundlage des Aktenmaterials des Bundeskanzleramtes, des Wirtschafts- und Finanzministeriums und des Auswärtigen Amtes. Im Ergebnis zeigt sich ein differenziertes Bild: Während der von der Schwerindustrie dominierte BDI unter der Führung von Fritz Berg der europäischen Integration sehr wohlwollend gegenüberstand und die deutsche Industrie im Bewusstsein ihrer Wettbewerbsfähigkeit die Schaffung einer Freihandelszone relativ einmütig befürwortete, gab es über die Zollunion zwischen den verschiedenen Industriezweigen erhebliche Differenzen. Die Analyse der verschiedenen Phasen der Gründung der EWG ergibt, dass es erst im Rahmen der Zollverhandlungen, die auf die eigentliche Ausarbeitung der Vertragstexte folgte, einen nennenswerten Einfluss der Industrie gab. Während der Verhandlungen des Spaak-Komitees über die Grundkonzeption der Gemeinschaft und während der offiziellen Regierungsverhandlungen unterstützte der BDI die Europapolitik der Bundesregierung (Fritz Berg war zu der Zeit einer der wichtigsten Kanzlerberater), doch lässt sich ein nennenswerter Einfluss, der sich gegen ursprüngliche Ziele der Regierung durchgesetzt hätte, nicht nachweisen. Rhenisch fasst seine Schlussfolgerungen zusammen: "Die politische Exekutive war also keineswegs der bloße Erfüllungsgehilfe für die Wirtschaft. Sie verfolgte ihre eigenen Ziele, die mit denen der Industrie nicht identisch gewesen zu sein brauchten, solange der politische Grundkonsens in Fragen der Ordnungs-, Gesellschafts- und Außenpolitik fortbestand. Und sie verfügte über eine ausreichende Machtbasis, die es ihr – in eng gesteckten Grenzen – ermöglichte, die Industrie von den Orten der politischen Entscheidung fernzuhalten." (257) Dem Autor gelingt es, in einer lebendigen und zugleich fundierten Darstellung die Rolle der deutschen Industrie im Prozess der Gründung der EWG nachzuzeichnen und stellt mit seinen differenzierten Ergebnissen eine Reihe von Pauschalurteilen über diesen Prozess in Frage. Aus dem Inhalt: I. Interessenverbände und europäische Integration: 1. Europäische Integration nach 1945; 2. Forderungen an eine historische Theorie der europäischen Integration; 3. Verbändepluralismus versus Neokorporatismus: Zur Theorie organisierter Interessen in der Demokratie; 4. Staatsmacht und Verbandsmacht in der Bundesrepublik in den fünfziger Jahren; 5. Der BDI als "der" industrielle Interessenverband; 6. Einige Bemerkungen zum Forschungsstand; 7. Aufbau der Arbeit, Methoden und Quellen. II. Die Ausgangslage: 1. Einige Bemerkungen zum handelspolitischen Interesse der deutschen Industrie; 2.Die Vorgeschichte: OEEC, EGKS und EVG/EPG aus industrieller Sicht. III. Die Verhandlungen des Spaak-Komitees: 1. Vorbereitungen innerhalb der Bundesregierung; 2. Industrielle Stellungnahmen zum Zollunionsplan; 3. Einflüsse und Pressionen: Die Einbeziehung der Industrie in die Verhandlungen des Spaak-Komitees; 4. Die deutsche Industrie und Euratom; 5. Exkurs: Der Tiefpunkt eines schwierigen Verhältnisses. Adenauer und der BDI gegen Erhard im Streit um die Konjunktur- und Kartellpolitik. IV. Die Phase der offiziellen Regierungsverhandlungen im Anschluss an die Konferenz von Venedig: 1. Der Streit um die deutsche Verhandlungsführung; 2. Der Verlauf der Brüsseler Regierungsverhandlungen in deutscher Perspektive; 3. Die Beteiligung der Industrie an den Regierungsverhandlungen; 4. Lob und Kritik. Die Römischen Verträge im Urteil der deutschen Industrie. 5. Die Erwartungen einzelner Industriezweige; 6. Der Deutsche Industrie- und Handelstag. V. Der gemeinsame Außenzoll der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft: 1. Die Aufstellung der Liste G2; 2. Die Verhandlungen der Liste G.
Hendrik Hansen (HH)
Dr., Lehrbeauftragter, Politische Theorie und Ideengeschichte, Universität Passau.
Rubrizierung: 2.313 | 2.331 | 3.1 Empfohlene Zitierweise: Hendrik Hansen, Rezension zu: Thomas Rhenisch: Europäische Integration und industrielles Interesse. Stuttgart: 1999, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/11566-europaeische-integration-und-industrielles-interesse_13737, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 13737 Rezension drucken